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Das Mädchen, das nicht weinen durfte

Titel: Das Mädchen, das nicht weinen durfte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khadra Sufi
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grausam und brutal waren, dass ich manchmal noch heute davon träume. Wir waren damals gerade mal drei, vier und sechs Jahre alt, und wenn die Angst kaum auszuhalten war, schloss ich einfach die Augen und hoffte, dass er mich dabei nicht erwischte. Nanna war die Jüngste und nuckelte noch am Schnuller, aber sie war von uns allen am mutigsten. Wenn Farid so richtig in den Film vertieft war, kroch sie ganz, ganz langsam Richtung Tür, ihr Fläschchen
hielt sie dabei zwischen den Zähnen. Sie sah so verängstigt aus, dass ich meine eigene Angst für Augenblicke vergaß. Ich hoffte so sehr, dass sie es unbemerkt durch die Tür schaffen würde, und freute mich, dass sie es tatsächlich schaffte. Heute weiß ich, dass Farid Angst davor hatte, sich diese Filme allein anzusehen, und uns deshalb zwang, sie mit anzuschauen.
    Manchmal mussten Jamal und ich nach den Filmen hinaus in die Dunkelheit und dort nach blutigen Monstern und Toten rufen, um ihnen die Nachricht zu überbringen, dass Farid sie nicht fürchtete und auf sie wartete. Jeder musste einzeln hinaus, ich zuerst. Als ich völlig verängstigt zurückkam und sagte, dass da niemand war, schickte er mich wieder raus, immer wieder. Irgendwann war ich so verängstigt, dass ich behauptete, ich hätte diese alte, tote Frau gesehen, nach der ich suchen sollte.
    »Was hat die Frau gesagt?«, fragte Farid.
    »Dass sie nicht mehr kommen wird«, antwortete ich. Dann schickte er Jamal hinaus ins Dunkle, aber der Kleine hatte gut aufgepasst. Als er zurückkam, rief er uns zu: »Die alte Frau hat gesagt, dass sie nie mehr wieder kommt.« Wir wussten, dass wir Mama und Papa nichts von diesen Grausamkeiten erzählen durften, ab und an erinnerte uns Farid dennoch daran.
    »Wenn ihr irgendjemandem davon erzählt, bringe ich euch um! Wenn Papa fragt, haben wir Zeichentrick geguckt!«
    Tatsächlich schaute er sich gelegentlich auch Comicfilme an, am liebsten »Messenger«. Darin prügelt sich dieser Roboter namens Messenger mit anderen Robotern und gewinnt immer. Nach einem solchen Film durften wir es dann auch mal mit Farid aufnehmen.
    »Schlag zu! Los, mach was!«, befahl er mir und ging auf die Knie. Ich ballte meine kleine Hand zu einer Faust, spannte meinen ganzen Körper an, ja, ich wollte ihm richtig wehtun, es ihm heimzahlen, und schlug ihm gegen seinen kräftigen Oberarm. Ich weiß nicht, ob es ihm wirklich wehgetan hat, aber er holte
aus und boxte mir mitten ins Gesicht. Ich flog mehrere Meter weit durchs Zimmer und hatte so heftige Schmerzen, dass mir die Luft wegblieb. Aber ich unterdrückte meine Tränen, weil ich wusste, dass er noch wütender werden würde, wenn ich weinte. Er merkte, dass sein Schlag mich heftiger erwischt hatte, als er es ursprünglich wohl gewollt hatte. Ich spürte das warme, pochende Blut in den Adern unter meinem rechten Auge, das immer mehr anschwoll. Er kam zu mir, um sich die Verletzung genauer anzusehen, und drohte mir mit wütendem Blick: »Wehe, du sagst dem Papa was!« Ich gab keinen Mucks von mir. Mein Vater kam Stunden später von der Arbeit. Ich wäre am liebsten in seine Arme gelaufen, um mich von ihm trösten zu lassen, doch ich traute mich nicht, die Angst vor der Strafe meines Bruders war zu groß. Papa sah mich erschrocken an.
    »Lieber Gott! Njunja! Was ist denn mit deinem Auge passiert?« Ich antwortete nicht, blickte nur hoch zu ihm tief in seine Augen. Ich hoffte, er könne in meinen sehen, was passiert war, ohne dass ich es ihm erzählen musste.
    »Wir haben gespielt und Khadra ist hingefallen«, stammelte Farid dazwischen. Mein Vater merkte, dass irgendetwas nicht stimmte, und sah sich mein blaues Auge genauer an.
    »Njunja, was ist passiert?« Ich wollte am liebsten meinen Schmerz rausschreien, aber ich flüsterte nur: »Ich bin hingefallen.«
    Eigenartig war, dass wir Farid damals nicht gehasst haben. Im Gegenteil, je mehr er uns quälte, desto mehr suchten wir seine Zuneigung in den wenigen Augenblicken, in denen er mit uns herumalberte oder uns zum Lachen brachte.

Heiraten auf Somalisch
    Eine der wenigen, die meinem Bruder Farid ab und an Kontra geben durften, ohne dafür Prügel zu kassieren, war meine Cousine Seta. Sie war etwas älter als er und die beiden verstanden sich prächtig. Mein Vater hatte sie aus Somalia nach Ostberlin geholt. Sie war die Tochter seiner Schwester Suna und es war üblich, dass man Verwandten im Ausland Jobs oder eine gute Ausbildung ermöglichte. Auch einige meiner Tanten und Onkel arbeiteten

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