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Das Mädchen, das nicht weinen durfte

Titel: Das Mädchen, das nicht weinen durfte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khadra Sufi
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Fahrer immer fuhr, den Weg, den ich selbst vor Wochen genommen hatte, als Papa mich unterwegs aufgelesen hatte.
    »Aber in welcher Straße?« Ich zuckte nur mit den Schultern. »Warte mal hier.« Mit eiligen Schritten ging sie ins Schulgebäude zurück. Ich schaute ihr nach. Sie hatte ein marineblaues Kostüm an, der Rock war ihr etwas zu eng, dazu trug sie schwarze Schuhe mit Absatz, die vorn und hinten offen waren. Sie sprang die wenigen Stufen zur Tür hinauf und ich war überrascht, weil sie etwas mollig war und ich sie nicht für so sportlich gehalten hatte. Als sie zurückkam, schnaufte sie ein bisschen: »Ich hab bei dir zu Hause angerufen, da war eine Frau dran, ich habe sie aber nicht verstanden, weil sie kein Deutsch sprach.«
    »Das war meine Mutter.«
    »Ach so! Aber ich hab in deine Unterlagen geschaut und weiß jetzt, wo du wohnst. Ich bringe dich nach Hause. Aber erst müssen
wir bei mir vorbei, mein Mann kommt von der Arbeit und muss etwas essen.«
    Wir gingen los. Der Weg zu ihr nach Hause war recht lang, wir mussten mit der Bahn fahren und mehrmals umsteigen. Wir redeten nicht viel, stiegen schließlich aus der Straßenbahn und liefen auf ein Hochhaus zu. Mit dem Aufzug fuhren wir einige Stockwerke hinauf. Als sie die Tür aufschloss, war ich überrascht. »Wie kann eine Wohnung nur so klein sein?«, dachte ich. Es gab nur einen einzigen Raum, in dem alles war: die Küche, das Esszimmer, das Wohnzimmer und das Schlafzimmer. Frau Sinners Mann war schon da, und sie gab ihm einen sanften Kuss auf den Mund.
    »Das ist Khadra, eine Schülerin, die heute nicht abgeholt wurde. Ich bringe sie gleich noch nach Hause.« Sie machte ihm die Reste vom gestrigen Abendessen warm. Ihr Mann stand in der Mitte des kleinen Zimmers und lächelte mich an. Ich fühlte mich unwohl, so, als würde ich mich aufdrängen und nicht hierher gehören. Ich saß auf dem einzigen Bett im Raum, schaute in eine Ecke und hoffte, dass ich mich auf diese Weise unsichtbar machen könnte. Ich wartete darauf, dass Frau Sinner auf meine Eltern schimpfen würde, aber das tat sie nicht.
    »So, wir können jetzt los. Ich beeil mich, Schatz«, sagte sie zu ihrem Mann, dann machten wir uns wieder auf den Weg. Als wir endlich angekommen waren, zerrte ich Frau Sinner den Zaun entlang bis zum Eingangstor. Sie schüttelte den Kopf und lächelte.
    »Hier wohnt ihr?« Ich wollte mich unbedingt bei ihr bedanken und zog sie mit zum Tor. Sie jedoch meinte: »So, jetzt lass ich dich mal allein …«
    »Nein!«, fiel ich ihr ins Wort. Ich wollte gern, dass sie mit zu uns kam und bei uns aß, außerdem wollte ich ihr meinen Papa vorstellen, der würde sich bestimmt eine tolle Belohnung für sie ausdenken.

    »Na, gut, ich komm ja schon.« In der Eingangshalle warf ich meinen Schulranzen in die Ecke und meine Mutter kam uns entgegen.
    »Khadra, du kommst heute aber spät«, sagte sie nur beiläufig auf Somalisch.
    »Meine Lehrerin ist hier. Sie hat mich gebracht, weil mich keiner abgeholt hat«, antwortete ich ihr und plötzlich strahlte sie über ihr ganzes Gesicht. »Hello! Thank you! Come, come …« Sie wollte, dass die Lehrerin mit ihr in den Speisesaal kam.
    »Nein, nein, ich muss jetzt schnell wieder los …«
    »No, no, come, come, please!« Meine Lehrerin schaute mich Hilfe suchend an.
    »Khadra, kannst du deiner Mutter bitte sagen, dass ich wirklich nicht bleiben kann, mein Mann wartet zu Hause.« Ich schaute sie an, sie stand mitten in unserem Speisesaal, der viel größer als ihre gesamte Wohnung war. Sie umklammerte ihre Handtasche, deren Riemen quer über ihre Schulter lief.
    »Wait, wait!« Meine Mutter lief an ihr vorbei und verschwand im Schlafzimmer. Meine Lehrerin schaute mich nur an, zuckte mit ihren Augenbrauen und Schultern. Dann lächelte sie mit geschlossenen Lippen.
    »Here! This is for you! Thank you! Thank you!« Mama drückte ihr eine Tüte in die Hand.
    »Was ist das denn? Um Gottes Willen! Nein, nein, bitte, wirklich …« Die Tüte war gefüllt mit großen Cremedosen, die mein Vater immer aus dem Westen mitbrachte. »Wirklich, ich brauch das alles nicht.« Ich spürte, dass ihr die Situation unangenehm war, also nahm ich sie schnell an der Hand und brachte sie zur Tür. Die Tüte mit den Cremes hatte meine Lehrerin nicht ablehnen können und nahm sie mit, aber ich war nicht sicher, ob ihr das Geschenk wirklich gefiel.

Reisen über eine Grenze
    Wenn wir nach Westberlin fuhren, war es, wie in eine andere Welt zu kommen. Im

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