Das Mädchen, das nicht weinen durfte
nicht sang, dann erzählte sie lustige Geschichten, über die sie auch gern mal allein lachte, so laut und rau, dass man hörte: Es kam von Herzen. Auch an diesem Tag war Tita in der Villa, um bei der Vorbereitung des Fests mitzuhelfen, und lief singend durchs Haus.
Meine Oma hatte mittlerweile eine schöne Stoffkombination ausgesucht.
»Ayeya, für wen ist das?«, fragte ich.
»Für die Braut!«
Ich freute mich: »Oh, wie schön, eine Hochzeit steht an, deshalb die ganze Aufregung.« Somalische Hochzeitsfeiern gehen üblicherweise über mehrere Tage, bis es dann zur großen Trauung kommt, nach der der Bräutigam die Braut mit zu sich nach Hause nimmt. Ich rannte durchs ganze Haus, um jemanden zu finden, der sich mit mir freuen würde. Im Zimmer meiner Geschwister lag Seta mit dem Gesicht zur Wand auf dem Bett, ich dachte, sie würde schlafen, doch dann bewegte sie sich ein bisschen und ich hörte sie schluchzen.
»Seta, warum weinst du?« Ich fasste sie vorsichtig an der Schulter und sie zuckte erschrocken zusammen, dann drehte sie sich zu mir um, ihr Gesicht war ganz verschwollen und ihre Augen waren rot unterlaufen.
»Was ist denn passiert?«, fragte ich noch einmal, aber sie drehte sich zurück zur Wand und weinte weiter, während ich zu meiner Tante lief: »Tita, warum weint Seta?«
»Weil sie heiratet.« Sie sagte es so, als wäre es das Normalste der Welt, dass man weint, weil man heiratet. Ich verstand das nicht, denn ich kannte Bräute nur aus dem Fernsehen und da sahen sie immer so glücklich aus.
Am eigentlichen Hochzeitstag beobachtete ich Seta während der Trauung. Sie saß da in ihrem Brautkleid und weinte nicht mehr, aber sie starrte nur vor sich hin und wirkte müde. Als ich den Mann sah, der neben ihr saß, erschrak ich. Ihr Bräutigam war etwa so alt wie mein Vater. Jetzt begann ich zu verstehen, warum sie sich nicht auf ihre Hochzeit gefreut hatte! Der Bräutigam dagegen schien sehr zufrieden zu sein. Er hatte einen edlen, dunklen Anzug an, saß stolz auf dem Stuhl neben seiner blutjungen Ehefrau und nahm die Glückwünsche entgegen. Erst später erfuhr ich, dass Seta ihn an diesem Tag zum ersten Mal in ihrem Leben gesehen hatte.
Seta musste ihre Wohnung aufgeben. Keine aufgemalten Muttermale mehr, keine Madonna, keine Sade. Kein eigenes Leben mehr, ihr neues hatte begonnen. Ich war sieben Jahre alt und unglaublich traurig, dass sie dazu gezwungen worden war. Und dass alle um mich herum es für völlig normal hielten und die Hochzeit begeistert feierten, beunruhigte mich noch mehr. Ich beobachtete sie, wie sie tanzten und lachten, die Frauen klatschten in die Hände und sangen laut, alle amüsierten sich prächtig, nur Seta, eingehüllt in ein weißes, üppiges Hochzeitskleid aus Tüll, musste ihre Tränen zurückhalten. Sie sollte nicht die letzte traurige Braut sein, die ich zu sehen bekommen würde.
Nach der Hochzeit sprach ich meinen Vater darauf an, warum Seta den alten Mann heiraten musste.
»Er ist ein guter Mann«, antwortete er. »Er ist intelligent und arbeitet als Ingenieur. Er kann immer gut für sie sorgen.« Meine Cousine war also finanziell abgesichert und nicht mit einem armen Schlucker verheiratet worden, der nicht fähig war, die Familie zu ernähren, weil er weder schreiben noch lesen konnte. Trotzdem war es kein Trost für mich. Es machte mir Angst, und mein Vater schien das zu spüren.
»Papa, ich will später keinen Mann heiraten, den ich nicht kenne.« Er versuchte mich zu beruhigen.
»Nein, Njunja, niemals! Du darfst dir den Mann aussuchen, den du willst!«
»Egal wen?«
»Ja, mein Schatz, egal wen. Ich stelle dir eine ganze Reihe Männer hin und du suchst dir den aus, der dir am besten gefällt. Den darfst du dann heiraten, okay?«
»Na gut.« Er hatte mich, wie so oft, wenn ich Angst hatte, nicht nur beruhigt, ich freute mich schon auf meine Hochzeit und wusste auch schon, welchen Bräutigam ich wählen würde: Silvester Stallone.
Tatsächlich stehe ich dem Brauch einer arrangierten Ehe nach wie vor mit gemischten Gefühlen gegenüber, so nachvollziehbar die Gründe für eine solche Tradition auch sein mögen.
Auch meine Mutter war wie gesagt viel jünger als mein Vater, sie war seine dritte Ehefrau. Mit seiner ersten Frau, Djamila, war mein Vater bereits getraut worden, als beide noch Kinder waren. Djamila brachte ihm später einen Sohn zur Welt - Karim, meinen Stiefbruder. Doch nach einigen Jahren trennten sie sich, was erst mit der Unabhängigkeit
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