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Das Mädchen, das nicht weinen durfte

Titel: Das Mädchen, das nicht weinen durfte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khadra Sufi
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Bewunderung: »Du bist verrückt.« Dann lachte er leise und ging hinein, während Mama begann, ihre Haare auszuwringen.
    »Aaaaah! Das war herrlich!« Sie sah so glücklich und schön aus, leider habe ich sie nicht oft so gesehen.

Neuigkeiten aus Deutschland
    Drei Jahre war es nun her, dass wir Berlin verlassen hatten, und die Bilder verblassten mehr und mehr, bis ich diese fremde Männerstimme hörte, die sich mit meinem Vater auf Deutsch unterhielt. Ich rannte ins Wohnzimmer, weil ich wissen wollte, wer zu
Besuch gekommen war: Es war ein guter Freund meines Vaters, der beruflich in Somalia zu tun hatte und ihm aus der deutschen Heimat berichtete. Gespannt lauschte ich seinen Worten, denn es hatte sich viel in Deutschland verändert.
    »Njunja, weißt du noch, die Mauer, an der wir immer vorbeimussten, wenn wir nach Westberlin gefahren sind?«, fragte mein Vater. Natürlich hatte ich die Grenzsoldaten nicht vergessen, die uns so misstrauisch kontrolliert hatten, und nickte eifrig. »Die Mauer ist weg! Jetzt gibt es kein Ost- und Westberlin mehr, nur noch Berlin!«
    Sein Freund hatte auch ein Video mitgebracht, das Bilder vom Mauerfall zeigte. Und als ich sah, wie glücklich die Menschen feierten, wie sie von einer Seite auf die andere stürmten und wieder zurück, wie sie sich um den Hals fielen oder hupend im Trabi durch die Straßen fuhren, begann ich zu begreifen, wie schrecklich die Menschen in der DDR die Situation zuvor empfunden haben mussten, als wir dort so glücklich waren. Ich sah, wie sie aus den großen Kaufhäusern kamen, vollbepackt mit Tüten und Kartons mit Kassettenrekordern, Fernsehern und anderen elektrischen Geräten unterm Arm, die sie sich von ihrem Begrüßungsgeld gekauft hatten. Aber es gab auch Szenen, in denen Menschen die Grenzsoldaten beschimpften, weil sie das Gefühl hatten, dass die Soldaten geholfen hatten, sie 28 Jahre lang einzusperren.
    Diese Bilder weckten das Heimweh in mir, ich fühlte mich den Menschen da so verbunden wie nie zuvor und wäre so gern wieder in Berlin gewesen. Aber wir blieben hier und ein Geschenk von Papas Freund machte es mir leichter: ein kleines Stück der Berliner Mauer in Acrylglas.

Eine Nacht voller Gefahr
    Wer es sich leisten konnte, hatte in seinem Haus eine Klimaanlage gegen die trockene Hitze. Und im Schlafzimmer, wo wir jetzt alle schliefen, war es nachts besonders heiß. Auch mein Vater wollte deshalb eine Klimaanlage einbauen lassen. Nachbarn hatten ihm einen Mann empfohlen, den er beauftragt hatte und der sich frühmorgens an die Arbeit machte. Ich beobachtete ihn von Zeit zu Zeit. Zunächst stemmte er eine Öffnung in die Außenwand, damit das Gerät draußen die heiße Luft ansaugen, abkühlen und drinnen ventilieren konnte, wie er mir erklärte. Dann wurde das Loch mit Zement zu einem glatten Rechteck geformt. Die gesamte Nacht musste es so trocknen, erst danach konnte die Klimaanlage eingesetzt werden.
    Abends schlossen Papa und ich wieder alle Türen ab, und ich fragte mich, wie viele lästige Fliegen wohl durch diese Öffnung in der Wand reinkommen würden, um mir den Schlaf zu rauben. Ich hasste sie, weil sie am liebsten an meinem Ohr summten, als ob es keinen anderen Platz im Raum gegeben hätte. Aber ich tröstete mich damit, dass ich ab morgen in dem angenehm kühlen Raum viel besser würde schlafen können.
    Ein Geräusch weckte mich mitten in der Nacht. Ich öffnete die Augen und hörte Mama schnarchen. Das Licht im Bad war an, ich lag da und lauschte misstrauisch, welches Geräusch mich geweckt haben könnte. Dann hörte ich es noch mal und sah ihn. Da war eine dunkle Gestalt neben Mama, die auf dem Nachttisch herumkramte. Ich war starr vor Angst. »Khadra, du träumst nur! Es ist nur ein Traum …«, redete ich mir selbst gut zu. Aber es war kein Traum. Oh mein Gott, was sollte ich nur tun?! Ich lag auf dem Rücken und beobachtete, wie der Schatten zur Schlafzimmertür ging. Im schwachen Licht, das aus dem Badezimmer herüberschien, sah ich die weiß lackierte Tür schimmern, dann konnte ich auch erkennen, dass es ein schlanker, großer Mann mit kurzen
Haaren war. Ich fasste all meinen Mut und setzte mich mit einem Ruck auf. Er bemerkte es, verschwand hinter der Tür und zog sie schnell zu, ohne sie richtig zu schließen . Ich musste jetzt was machen, irgendetwas! Ich kletterte vorsichtig vom Hochbett und rannte zu meinem schlafenden Vater.
    »Papa! Papa!« Ich schüttelte ihn mit ängstlicher Stimme, meine Hände zitterten. Er

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