Das Mädchen, das nicht weinen durfte
Fruchtjoghurt, den für 34 Pfennig, in Erdbeere!« Dann drückte sie mir ihr verschwitztes, abgezähltes Geld in die Hand und ich lief los. Auf dem Weg ärgerte ich mich über mich selbst, aber letztendlich hatte ich nie den Mut, mich dagegen zu wehren. Ich war es gewohnt, alle möglichen Dinge zu ertragen, egal wie unangenehm sie mir waren.
Manchmal platzte sie auch ohne zu fragen in mein Zimmer und dann wusste ich, dass sie etwas von mir wollte: »Ich habe mir aus dem Katalog eine Creme bestellt, von der kriegt man einen größeren Busen«, erzählte sie mal und hatte meinen Namen und meine Adresse angegeben, damit sie es nicht zu ihrer Mutter geliefert bekam. »Spinnst du?!«, entfuhr es mir, aber es war sowieso zu spät und zumindest hatte sie die Creme vorab bezahlt. Ihre Art nervte mich, aber in diesem Haus, wo es für niemanden von uns eine wirkliche Privatsphäre gab, war es schwer, ihr aus dem Weg zu gehen.
Nach einiger Zeit bekamen wir unseren ersten Telefonanschluss! Das Telefon selbst kauften wir beim Gebrauchtwarenhändler um die Ecke, es war beige mit schwarzen Tasten. Ich kannte zwar keinen, der mich anrufen wollte, aber unsere Nummer lernte ich trotzdem sofort auswendig und kann sie heute noch aufsagen. Bisher hatten wir manchmal aus der Telefonzelle direkt gegenüber an der Straße meinen Stiefbruder Karim oder ganz selten meinen Bruder Farid in Kanada angerufen, beim Postamt gab es dazu Telefonkarten. Alle Flüchtlinge aus unserem Haus telefonierten so.
Fasims Freundin Susi hatte heimlich noch einen Freund und ich war die Einzige, mit der sie darüber sprach. Der Typ hieß Detlef, trug einen Schnurbart, längere graue Haare und war bestimmt 20 Jahre älter als sie. Ich kannte ihn, weil er auf der Rheinfähre die Tickets für 1,50 Mark verkaufte, Susi durfte natürlich kostenlos mitfahren.
Einmal kam sie von einer Verabredung mit ihm zu mir, um mir vorzuschwärmen, wie nett er zu ihr war und welche Komplimente er ihr gemacht hatte, dabei fand ich ihn eher abstoßend, sagte es aber nicht.
Am schlimmsten aber war, dass sie sich heimlich in unsere Zimmer schlich, wenn wir nicht da waren, um mit ihm zu telefonieren. Ich erfuhr es, weil ich einmal etwas eher als sonst von der Schule nach Hause kam und sie mit dem Telefon auf meinem Bett erwischte. Mit ihren kleinen Füßen strich sie über meine Mariah-Carey-Poster an der Wand, die ich mir im Haus der Jugend aus der Bravo herausgerissen hatte. »Ach, hey, Khadra«, warf sie den Hörer auf die Gabel und tat überrascht. »Ich suche nur meinen Haargummi.« Sie tat noch so, als ob sie sich im Raum umschaute, dann verschwand sie. Diese Frau war an Dreistigkeit kaum zu überbieten.
Bei Herrn Reimann konnte ich in der Werkstatt helfen, wenn mir langweilig war. Die Abduls verlegten Elektrokabel, bereiteten Zement zu und verputzten die Wände. Mir gab Herr Reimann auch einen Blaumann, der mir viel zu groß war, in dem ich mir aber total wichtig vorkam. Er zeigte mir, wie man mit einem Bunsenbrenner löten kann, ich durfte Regale verschrauben oder kleine Holzstücke mit der Handsäge in passende Teilstücke sägen. Ansonsten kehrte ich den Hof oder putzte die Fenster im Haus, die so alt waren, dass ich Angst hatte, sie würden auseinanderfallen. Damit verdiente ich mir ein paar Mark und kaufte mir davon oft Süßigkeiten beim Bäcker, bevor ich morgens in die Schule ging.
Im Sommer fuhr Herr Reimann mit uns manchmal an den See, worauf wir uns schon Tage vorher freuten. Er nahm Essen, Getränke und Decken mit, wir tobten im Wasser und auf dem Heimweg fuhr er mit uns in ein Restaurant, das einem seiner Freunde gehörte. Ich konnte mich oft bei so viel Auswahl auf der Karte gar nicht entscheiden. Nudeln mit Soße oder Bratkartoffeln?
Oder doch lieber Pizza? Wenn es ihm zu lange dauerte, weil die anderen schon quengelten, bestellte er für mich »noch ein Hähnchenschnitzel mit Pommes, bitte«. Noch heute kann ich mich im Restaurant nur schwer entscheiden und bestelle dann auf den letzten Drücker - meist das Falsche …
Leben ohne Rechte
Eines späten Abends hämmerte jemand im Haus an die Türen und einige Männerstimmen brüllten: »Aufmachen! Sofort aufmachen!« Nanna und ich rannten auf den Flur und sahen sie im ersten Stock. Abdul Hassar, der Älteste der Jungs unter uns, öffnete, und sie stürmten hinein.
»Was ist das denn hier? Eine Stereoanlage! Die sieht aber sehr teuer aus …«, drang es nach draußen. »Die ist nicht geklaut! Außerdem geht
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