Das Mädchen, der Koch und der Drache - Roman
den Wäscheständer gehängt?«
»Ein Paar Gummihandschuhe.«
»Sehr schlau. Und welche Hände haben in den Gummihandschuhen gesteckt?«
»Ein Paar passende Hände von der Straße halt. Könnten auch ein Paar kleine Füße wie deine gewesen sein.«
Mendy verkneift sich ein Kichern. »Tubai, du weißt, was ich meine. Ich möchte nicht, dass du dich um meine Sachen kümmerst. Lern lieber Deutsch, wenn du Zeit hast.«
Tubai tut so, als hätte er nichts gehört. Er beugt sich noch tiefer über den Herd und rührt eifrig in einem Topf, aus dem köstliche Düfte aufsteigen.
»Tubai«, sagt Mendy mit sanfter Stimme, »du musst doch nichts für mich kochen. Es ist fast Schlafenszeit.«
Tubai nickt zwar, zeigt ihr aber weiterhin den Rücken.
»Wenn ich mit meinen Bewerbungen fertig bin, lernen wir ein bisschen Deutsch, ja?«
Ein wortloses Nicken.
Mendy geht zum Schreibtisch zurück. Hinter ihr wird die Küchentür leise ins Schloss gedrückt. Stille umgibt sie. Bald ist sie wieder in der Stellensuche versunken. Als sie, den verspannten Hals dehnend und reckend, wieder in der Küche auftaucht, stellt Tubai eine dampfende Schale vor sie auf den Tisch.
»Silbermorchelsuppe! Die habe ich eine Ewigkeit nicht mehr gegessen.« Wie ein Kind wirft sie sich auf ihren Platz, hält die Nase über die Schale und zieht den Duft ein.
»Wenn du da bist, habe ich oft das Gefühl, wieder zu Hause zu sein. Ist das nicht eigenartig?«
»Ich fahre morgen nach Potsdam zurück«, sagt Tubai leise.
Mendy zuckt wie vom Blitz getroffen zusammen. »Wieso?«
»Ich war heute im Restaurant und wollte bei der Renovierung helfen. Aber du hast mich nicht dabeihaben wollen.«
Mendys Nasenflügel beben. »Du musst eine Weile in Deckung bleiben.«
»Deiner Stiefmutter geht es von Tag zu Tag besser. Sie braucht mich nicht mehr.«
»Aber in Potsdam hast du auch nichts zu tun«, wendet Mendy ein.
Tubai seufzt. »Vielleicht sollte ich mich nach Hause abschieben lassen. Das Warten und Verstecken laugt mich so aus.«
»Nein. Ich lasse dich nicht gehen«, sagt sie mit einer verkrampften Stimme, die sie selbst überrascht. »Die Entscheidung über deinen Asylantrag wird nicht mehr lange auf sich warten lassen. Wenn mein Vater zurück ist, werde ich mit ihm reden, ob er in seinem Supermarkt eine Arbeit für dich hat.«
Sie streckt die Hand über den Tisch, um sie auf seinen Arm zu legen. Dabei stößt sie beinahe die leere Schale hinunter, aber Tubai rettet sie in letzter Sekunde.
»Siehst du, das ist ein gutes Omen, dass du die Schale gerettet hast. Du sollst hierbleiben, das hat das Schicksal entschieden.« Auf einmal spürt sie den Drang, sich zu bewegen. Sie springt vom Stuhl auf.
»Deine Kunst, Glas aus der Luft zu fangen, habe ich schon immer bewundert.« Einem plötzlichen Impuls folgend, fragt sie: »Ich habe sechs Schalen. Wenn ich sie dir eine nach der anderen zuwerfe, kannst du sie alle fangen?«
»Wenn du sie schön im Bogen wirfst …«
»Pass auf, wenn du mindestens fünf davon fängst, wollen wir Bruder und Schwester werden.« Mendy geht zum Schrank, um die Requisiten zu holen.
»Willst du einen armen Küchentuchbeißer zu deinem Bruder machen?« Tubais Blick flackert wie eine Kerze im Wind. Als Mendy nickt, schmilzt die Erstarrung in seinem Körper dahin, und er wird lebendig. Er stellt sich ans eine Ende des Zimmers und ruft: »Jetzt kannst du werfen!«
Die erste Schale segelt durchs Zimmer – und landet sicher in seinen Händen. Die zweite, die dritte … Das Porzellan klirrt leise, aber Mendy kann gar nicht so schnell werfen, wie Tubai die Schalen fängt. Mit sicherem Griff angelt er sie aus der Luft und stapelt sie übereinander.
»So, jetzt komm«, sagt Mendy. »Gib mir die Schalen.« Sie stellt die sechs Schalen feierlich auf den Boden und gießt in jede einen Schluck Reiswein. Dann knien sie sich gegenüber, leeren die Schalen eine nach der anderen mit ineinander verschränkten Armen und schwören sich treue Freundschaft. Nachdem sie sämtliche Schalen geleert, ihren Schwur dreimal wiederholt und sich dreimal tief voreinander verneigt haben, sind die Halbwaise Mendy und der Bauernsohn Tubai jetzt Schwurgeschwister.
Mendy strahlt übers ganze Gesicht und umarmt den Mann schwesterlich. »Jetzt hast du einen guten Grund, in Berlin Wurzeln zu schlagen.«
Röte steigt Tubai ins Gesicht. »Ich werde meinem Bruder erzählen, dass ich jetzt eine Schwester habe, die im Ausland studiert hat.«
Oswald ist aus Hamburg
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