Das Mädchen, der Koch und der Drache - Roman
zurückgekehrt, hat aber keine gute Nachricht für Mendy. Sein Vater stecke selbst in Geldsorgen und könne ihr nicht helfen, erzählt er. Das Gespräch habe nicht einmal fünf Minuten gedauert, dann habe im Vorzimmer jemand gewartet und der Vater habe den Sohn vor die Tür gesetzt. Was er noch gesagt habe? Oh ja, wenn die Beziehung ernst sei, dann solle der Sohn nächstes Mal seine chinesische Freundin mitbringen und vorstellen.
Mendy verstummt. Das grelle Sonnenlicht, das den Tisch zum Glänzen bringt, blendet und irritiert sie. Sie kneift die Augen zusammen. Plötzlich vergräbt sie ihr Gesicht in den Händen und fängt an zu schluchzen.
»Aber, mein Schäflein, ich helfe dir doch. Wir haben doch ausgemacht, mit unserer Musik Geld zu verdienen. Warum weinst du denn jetzt?« Oswald legt ihrdie Hand aufs Haar und streichelt sie.
»Mein Vater kommt bald zurück. Wenn er die Baustelle im Restaurant sieht, wird er mich in die Hölle wünschen.«
»Keine Angst. Ich hole dich wieder heraus«, sagt Oswald und küsst ihre Augen trocken. »Ich gebe dir mein Taschengeld der nächsten zwei Monate. Das sind zweitausend Euro. Es ist nicht viel, aber damit kannst du immerhin die Wände alle streichen lassen. Demnächst stehen einige Konzerte in meinem Kalender. Dann habe ich wieder mehr Geld und kann dir was abgeben. Mendy, sei nicht traurig. Wir schaffen es schon.«
»Danke. Ich gebe dir das Geld später zurück.« Sie legt ihre Hand auf die seine, um ihre Dankbarkeit zu zeigen. Sie glaubt zwar nicht an seine Vorstellungen, aber sie hat auch kein Konzept, wie sie aus dem tiefen Loch wieder herauskommen soll, in das sie gefallen ist. Als Oswald vom Trösten zur Liebkosung übergehen will, steht Mendy auf und verabschiedet sich. Oswald hat immer noch nicht kapiert, dass sie sich ihm nicht bei irgendeinem beliebigen Anlass hingeben will. Dann muss sie ihn eben allein lassen.
Kapitel 9
Der Kasinobesuch
Mit dem Geld von Oswald kann Mendy die Rechnung des Elektrikers bezahlen und einige Materialien besorgen, die für die Renovierung dringend gebraucht werden. Danach sind nur noch zweihundert Euro übrig. Der chinesische Maurer hat ihre Not gerochen und will sofort Geld sehen, aber Mendy gelingt es, ihn zu vertrösten. Der Maurer denkt an ihren reichen Vater und beharrt nicht auf seiner Forderung.
Abends schlüpft sie in den grauen Anzug, den sie für ihre künftige Arbeit bei der Bank gekauft hat, und fährt mit dem Bus zum Europa-Center. Ihr Ziel ist das Spielkasino. Peipei hat sie einmal dorthin mitgenommen, als sie eine Delegation von chinesischen Wissenschaftlern als Dolmetscherin durch Berlin geführt hat. Mendy erinnert sich heute noch, wie leidenschaftlich ihre Landsleute ihre Einsätze getätigt hatten. Sie kauften Jetons, als wären es Kartoffelchips. Am Ende hatten sie zwar fast alle ihr Geld verloren, aber die Aufregung stand ihnen ins Gesicht geschrieben, und das einzige Mitglied der Delegation, das zweihundert Euro gewonnen hatte, wurde gefeiert wie ein echter Held.
Mendy hat diesen Besuch nie vergessen, und jetzt erscheint ihr das Kasino als letzte Möglichkeit, um das Schicksal zu wenden. Sie braucht ja nur zwei, drei Mal zu gewinnen …
Als Mendy den großen Saal des Kasinos betritt, wird ihr bewusst, dass sie nicht recht in diese Umgebung passt. Sie ist blass, angespannt und sieht wie ein gerade gekeimter Sojasprössling aus, die anderen dagegen wirken gelassen und machen undurchschaubare Fuchsgesichter. Ursprünglich wollte sie Peipei um Begleitung bitten. Aber die Vorstellung, die Freundin könnte bei den männlichen Spielern zu viel unliebsame Aufmerksamkeit wecken, hinderte sie daran, Peipei anzurufen. Jetzt bereut sie es aber, allein gekommen zu sein.
Sei’s drum. Sie tauscht die zweihundert Euro, die sie noch besitzt, gegen vier Spielchips und stellt sich an den Roulette-Tisch. Nachdem sie das Spiel eine Weile beobachtet hat, setzt sie einen Chip auf die ungeraden Zahlen, die fast fünfzig Prozent Gewinnchance mit sich bringen. Die Kugel dreht sich und landet bei der Siebzehn. Was für ein Glück! Sie bekommt zwei Chips zurück. Lächelnd nimmt sie die Plastikscheibchen entgegen. So einfach ist das! Die Abenteuerlust rührt sich in ihrer Brust, sodass sie den Jeton, der ihr Glück gebracht hat, am liebsten mit hundert Küssen bedecken möchte. Aber noch ist sie ihr eigener Herr. Bleib nüchtern, und lass dich nicht zu schnell erhitzen. Damit sie wieder zur Ruhe kommt, lässt sie die nächsten
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