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Das Mädchen in den Wellen

Das Mädchen in den Wellen

Titel: Das Mädchen in den Wellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heather Barbieri
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sehen. Kleine Orte und Inseln werden ihnen zu eng.«
    Vier Vertreter der Teenagerbevölkerung, kein einziger mit Helm oder Knieschützern, kamen in halsbrecherischer Geschwindigkeit auf Skateboards herangebraust und verfehlten nur knapp die vordere Stoßstange des Trucks. Maire bremste gelassen, fast, als hätte sie die jungen Leute erwartet. Nora ertappte Ella dabei, wie sie zwei der etwa fünfzehnjährigen Jungen genauer musterte, deren Strickmützen und Flanellhemden auch in Boston ins Bild gepasst hätten.
    »Schau nicht so auffällig«, sagte Annie.
    »Klappe«, herrschte Ella sie an. In den letzten Wochen in Boston hatte sie es sich angewöhnt, sich lange im Bad aufzuhalten, sich zu stylen und vor dem Spiegel das Mienenspiel zu üben, das nötig war, um verächtlich eine Augenbraue zu heben.
    Polly Clennon hupte ihnen von ihrem Postauto, einem leuchtend roten Kastenwagen, aus zu, als sie aus dem Ort hinausbrauste. »Sie fährt immer mit Bleifuß«, bemerkte Maire nachsichtig. »Hat aber noch nie einen Unfall gebaut. Die geborene Rennfahrerin.« Maire beschrieb auch die anderen Leute im Ort, denen sie begegneten – ein Fischer, der die Straße in hüfthohen Anglerstiefeln entlangstapfte, einen Matchsack in der Hand (»Das ist Duff Creehan auf dem Weg zur Arbeit. Er will zu einem der Trawler«, sagte sie und drückte zur Begrüßung auf die Hupe.); eine ältere Frau mit gebeugtem Rücken (»Meera Dooley – mit ihren fast achtundneunzig geht sie noch jeden Tag zu Fuß nach Portakinney.«), die ihnen zuwinkte – und wie angewurzelt stehen blieb, als sie Nora und die Mädchen in dem Wagen bemerkte. Auf die Insel verirrten sich nicht viele Touristen, weil sie zu abgelegen war und keine nennenswerten Attraktionen zu bieten hatte. Den neugeborenen Bevan eingeschlossen, zählte die Bevölkerung zweihunderteine Seelen auf einem Stück Land, das an der breitesten Stelle nicht einmal fünf Kilometer maß.
    Maire lenkte den Truck rumpelnd die steile Hauptstraße entlang. »Besonders bequem ist er nicht«, entschuldigte sie sich, »aber er bringt uns sicher ans Ziel. Die Straßen hier sind unübersichtlich, es ist gut, wenn man hoch sitzt.« Sie stellte den Wagen vor Scanlon’s Mercantile ab. »Da wären wir.«
    Im Ort war es ruhig, abgesehen vom Hämmern und Rufen am Pier, wo die Fischer ihren Fang entluden. Große und kleine Fischkutter und Trawler drängten sich in dem kleinen Hafen. Ihre Kapitäne und die mit Flanellhemden und fischblutgetränkten T-Shirts bekleideten Crewmitglieder riefen einander Anweisungen zu, während Sturmvögel, Sturmtaucher, Möwen und Seeschwalben, die die Abfälle interessiert beäugten, über ihnen kreisten. Keine Reporter. Keine Kameras. Keine unerwünschten Fragen.
    Am schwarzen Brett vor Scanlon’s hingen mit Reißzwecken befestigte Ankündigungen und Anzeigen:
    Ersatzreifen zu verkaufen – fürs Auto, nicht für den Bauch.
    Nicht vergessen: Samstagsmarkt. The Docks, Portakinney.
    Bodhrán-Unterricht zu günstigen Preisen.
    Workshop für irischen Tanz, in der Woche ab dem 12. Juni. Weitere Informationen von Rena McGlone.
    Als Maire die Tür öffnete, erklang die Ladenglocke. Im Hintergrund spielte Musik aus den Achtzigern, die Nora in ihre Jugend zurückversetzte, als sie noch lange Haare und hehre Ideale gehabt hatte, ihr Gesicht faltenlos und ihre Röcke kurz gewesen waren; kurz bevor sie Malcolm im Jurastudium kennengelernt hatte. » Lies, lies, lies, yeah – Lügen, Lügen, Lügen, yeah «, sangen die Thompson Twins.
    »Kennst du den Song, Mama?«, fragte Annie.
    Nora nickte.
    Hinter dem Eingang lag ein Golden Retriever. »Das ist Mortimer«, stellte Maire ihn vor, als er mit dem Schwanz wedelte. »Ein richtiger Faulpelz, aber lieb, besonders wenn er Leckerli kriegt oder hinterm Ohr gekrault wird.«
    »Das mögen nicht nur Tiere«, stellte Nora lächelnd fest.
    »Menschen sind Tiere«, meldete sich Ella zu Wort.
    Fast hätte Nora die Augen verdreht. Die altkluge Ella.
    Mortimer leckte Ellas Hand. Sie ging neben ihm in die Hocke, und wenige Sekunden später lag sein Kopf in ihrem Schoß. »Kriegen wir einen Hund, Mom?«
    Die Frage hatte Nora befürchtet. »Wir bleiben nur den Sommer über hier, Liebes.«
    »Ich weiß. Ich meine, wenn wir wieder in Boston sind.«
    Bisher hatte Nora alle Gedanken an die Rückkehr beiseitegeschoben. »Warten wir’s ab.«
    »Das sagst du immer«, stellte Annie fest.
    Nora, die keine Lust hatte, weiter über das Thema zu reden, wählte rote Geranien

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