Das Mädchen in den Wellen
aus dem Pflanzenregal neben dem Eingang.
»Deine Mutter hatte die immer in den Blumenkästen vor dem Fenster des Cottage«, erzählte Maire. »Weil sie es freundlicher machten.«
Nora spürte ein Prickeln im Nacken. Erinnerte sie sich daran?
»Die musst du nicht reinschleppen. Sag einfach Alison oder Liam an der Kasse Bescheid, dann setzen sie sie auf die Rechnung.«
Annie erbettelte eine Süßigkeit aus dem Automaten, in dem Schätze, umhüllt von Plastikkapseln, ihrer harrten, die sie für den Preis einer Münze heben konnte. Bitte. Bitte.
»Hier lang«, sagte Maire, deren Gummistiefel, die gängige Fußbekleidung der Insulaner, über den unebenen Linoleumboden quatschten. Nora und die Mädchen holten sich herabgesetzte marineblaue und waldgrüne Stiefel aus Gang eins.
In dem Laden gab es alles vom Seil bis zum Fischernetz, vom Wachstuch bis zum Stickgarn. Maire führte sie zur östlichen Seite, wo Wandfarbenmuster ausgestellt waren. Annie entschied sich wie angekündigt für Himmelblau, Ella für Taubengrau (immerhin ein angenehmer Farbton; Nora hatte Schlimmeres befürchtet) und Nora für helle Eierschalenfarbe mit freundlichem Weiß für die Zierleisten. An Reusen und Anglerstiefeln vorbei gingen sie zum hinteren Ende des Ladens, um sich die Farben von einer blassen jungen Frau mischen zu lassen – Nora schätzte sie auf Anfang zwanzig –, die schwarze Röhrenjeans und ein T-Shirt mit Löchern sowie eine Schlangentätowierung um ihr linkes Handgelenk trug. Sie blinzelte sie unter ihrem zotteligen schwarzen Pony hervor an.
»Sie sieht aus wie ein Vampir«, flüsterte Annie.
»Pass auf, was du sagst. Wir Vampire haben ein sehr feines Gehör.« Die grauen Augen des Mädchens funkelten belustigt. »Wie Fledermäuse.«
»Ist nicht ihr Ernst, oder?«, fragte Annie Ella, während sie die Piercings in den Ohren des Mädchens zählte (sechs).
»Darauf würde ich mich nicht verlassen«, meinte Ella.
»Alison, wie geht’s?«, erkundigte sich Maire.
Das Mädchen zuckte mit den Achseln. »Wie üblich. Mir ist sterbenslangweilig.« Sie sah Annie an. »Ach, das hatte ich vergessen: Ich bin eine Untote.«
Annie deutete auf das Pflaster an Alisons Finger. »Vampire bluten nicht.«
»Gut beobachtet«, lobte Alison sie schmunzelnd. »Du hast dir meine Lieblingsfarbe ausgesucht, Himmelblau.«
Während die Mischmaschine mit ohrenbetäubendem Lärm die Farbeimer durchrüttelte, schlurfte eine Frau in weiter grüner Militärregenjacke und Fischerpullover zur hinteren Tür herein. Ihr kurzer Hals reckte sich aus dem Panzer ihrer Jacke, als wäre sie eine große, mürrische Schildkröte. Ihre Augen, die anfangs noch trübe gewesen waren, begannen zu blitzen, als sie Nora erblickte. »Was machst du hier?«, fragte sie.
»Entschuldigung, kennen wir uns?«, stammelte Nora.
»Maggie, das ist meine Nichte«, stellte Maire Nora vor.
Maggie schenkte ihr keine Beachtung. »Du traust dich was, einfach hier aufzutauchen«, herrschte sie Nora an.
»Mom, was ist los?«, fragte Ella.
»Alles in Ordnung, Liebes …«
»Oma …« Alison versuchte, Maggie zu beruhigen. »Ich kümmere mich schon um die Kunden. Geh doch rüber zu …«
»Kunden? Das ist keine Kundin.« Maggie Scanlon deutete mit dem Finger, den ein ziemlich schmutziger Nagel zierte, auf Nora. »Sie ist …«
»Sie müssen mich mit jemandem verwechseln«, sagte Nora. »Ich bin …«
»Ich weiß, wer du bist«, fiel Maggie ihr ins Wort. »Mich täuschst du nicht, du Meerhexe, du Hure.« Sie bebte vor Zorn, Speichelfetzen hingen in ihren Mundwinkeln.
»Oma!« Alison packte Maggies Arm, als diese sich auf Nora stürzen wollte. »Es reicht!«
»Maggie, bitte.« Maire trat zwischen sie.
»Zu solchen Ausfälligkeiten besteht kein Anlass«, sagte Nora und stellte sich schützend vor die Mädchen.
Maggie wurde noch lauter. »Raus! Raus aus meinem Laden!«
»Gut«, meinte Nora. »Dann kaufen wir eben woanders ein.« Sie schob die Mädchen zur Tür hinaus, die zum offenen Auto rannten.
»Was hatte die Frau denn?«, fragte Annie, als sie sicher in Maires Truck saßen. »Kommt sie raus und brüllt uns hier draußen weiter an?« Sie lugte vorsichtig über den unteren Rand des Fensters hinaus.
»Nein, Liebes. Sie war verwirrt, das ist alles«, erklärte Nora, obwohl auch sie verstohlene Blicke in Richtung Laden warf.
»Tut mir leid«, sagte Maire. »Ich hätte nicht vorgeschlagen herzukommen, wenn ich das geahnt hätte.«
»Es ist nicht deine Schuld«, versicherte
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