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Das Mädchen in den Wellen

Das Mädchen in den Wellen

Titel: Das Mädchen in den Wellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heather Barbieri
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sich. Nora war in den Ort gefahren, um ein paar Dinge zu erledigen, Ella mit einem Buch im Cottage geblieben. Maire und Annie breiteten im Garten die Algen zum Trocknen aus. Später würden sie sie als Dünger auf den Gemüsebeeten ausbringen. »Er ist immer oben auf den Felsen.«
    »Das macht er gern«, erklärte Maire und beschattete die Augen. Owen kam gerade den Weg herauf. Allmählich schien er sich zu erholen. »Hallo. Eben haben wir über Sie gesprochen.«
    »Mir haben die Ohren geklungen.« Er hielt ihr einen Kranz Stinte hin.
    »Mein Lieblingsfisch. Den habe ich immer mit meinem Dad gefangen. Wir waren die Einzigen, die ihn mochten.« Maire erinnerte sich gern daran. Ihr Vater hatte ihr alles über das Meer und das Navigieren beigebracht. Dazu den Aberglauben der Seefahrer: Segle niemals an einem Freitag. Pfeife an Bord nur bei Windstille, wenn du eine Brise brauchst.
    »Meiner auch.«
    »Wir sind gerade fertig geworden.« Maire erhob sich und wischte die Knie ihrer Jeans ab. »Kommen Sie auf ein Tässchen Tee herein?«
    »Und Kekse?«, fragte Annie hoffnungsvoll.
    »Vor dem Mittagessen?«, fragte Maire schmunzelnd zurück.
    »Für Kekse ist es nie zu früh«, erklärte Annie.
    »Das sage ich auch immer«, pflichtete Maire ihr bei, stellte die Schuhe vor der Tür ab und ging ins Haus.
    »Haben Sie beim Schiffbruch Ihre Kleider verloren?«, erkundigte sich Annie bei Owen, während Maire das Wasser aufsetzte.
    Er zuckte mit den Achseln. »Ich gebe nicht viel auf Mode.«
    »Ich habe neulich im Speicher Kleidung gefunden, die Ihnen passen könnte«, sagte Maire, der aufgefallen war, dass er immer dieselben zerrissenen Shorts trug.
    »Das ist nicht nötig …«
    »Sie täten mir einen Gefallen. Behalten Sie den Wasserkessel im Auge, dann hole ich sie.« Maire hatte die Hemden und Hosen bereits sortiert, gewaschen, zusammengelegt und gebügelt wie früher für Jamie und Joe. Sie wusste nicht, ob die Sachen Owen passen würden, weil Jamie schmaler und größer gewesen war als der kräftige Owen mit seinen höchstens eins achtzig. Allerdings hatte Jamie immer weit geschnittene Hosen und Hemden getragen.
    Maire verweilte in Jamies Zimmer, in dem er von dem kleinen Jungen, der sich vor der Dunkelheit fürchtete und Basketball und Astronomie liebte, zum jungen Mann herangewachsen war, der kaum noch mit ihr sprechen wollte und den Raum mit seiner bloßen Größe ausfüllte, mit der Kraft seiner Wut. Woher war diese Wut gekommen? Wie hatte Maire die Fähigkeit verloren, mit ihm zu kommunizieren? Diese Gedanken quälten sie. Hätte sie ihm doch nur gesagt, wie sehr sie ihn liebte! Aber die Streitereien, der Ärger hatten sie mürbe gemacht. Sie hatten sich kaum noch auf etwas verständigen können – und dann war er verschwunden.
    Sie trug den Karton seufzend nach unten. »Da wären wir«, sagte sie und stellte ihn auf den Tisch, damit Owen die Sachen durchgehen konnte.
    »Was ist Ihre Lieblingsfarbe?«, fragte Annie ihn nach einem raschen Blick in die Schachtel. »Das Hemd da ist hübsch.« Sie ließ die Finger über ein graues Flanellhemd mit Button-down-Kragen gleiten.
    Er überlegte kurz. »Blau.«
    »Meine auch.« Maire nickte. »Das trifft sich gut. Es sind viele blaue Sachen dabei.«
    »Alle Farben sind irgendwie schön«, erklärte Annie.
    »Prima Einstellung«, meinte Owen. »Es ist gut, in allem das Schöne zu sehen.«
    An jenem Abend brachte Maire Owen Pasteten mit Krebsfleisch, Bohnen und süße Beeren aus dem Garten. Sie hatte schon mehrfach versucht, ihn zu sich ins Haus einzuladen, doch er hatte abgelehnt. Trotzdem glaubte sie, dass er sich über eine selbst gekochte Mahlzeit freuen würde. Maire balancierte den zugedeckten Teller auf der linken Hand über die Landspitze, wo sie sich nie lange aufgehalten hatte, nur wenn sie früher ihren Vater zum Abendessen rief oder Patrick besuchte. Die Erinnerung an ihn schmerzte sie noch immer, nach all den Jahren.
    Kaninchen und Wühlmäuse hatten sich neben dem Weg Gänge gegraben. Maire senkte den Blick, um nicht in ein Loch zu treten und sich nicht den Knöchel zu verstauchen. »Setz dich einen Moment zu mir«, hätte Joe gesagt. Aber sie musste immer in Bewegung bleiben, damit sie nicht den Verstand verlor.
    Sie hatte mit dem Gedanken gespielt, einen zweiten Teller für sich selbst mitzubringen und Owen Gesellschaft zu leisten, wollte sich jedoch nicht aufdrängen. Seine Privatsphäre schien ihm heilig zu sein. Aus der Fischerhütte stieg Rauch auf. Es war

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