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Das Mädchen in den Wellen

Das Mädchen in den Wellen

Titel: Das Mädchen in den Wellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heather Barbieri
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sagen.«
    »Bitte zeigen Sie’s uns«, bettelte Annie.
    »›Die Kompassnadel kennt‹«, zitierte er einen Vers, den sein Urgroßvater ihm beigebracht hatte, »›mehr Dinge, als man denkt …‹«
    Polly Clennon hielt laut hupend mit ihrem Postwagen vor dem Cottage. Ihre Haare leuchteten lilafarben. »Geh auf keinen Fall zu Merry Manes, wenn du dir die Haare färben lassen willst. Eigentlich hätte ich es wissen sollen. Merry ist eine gute Freundin, aber Färben beherrscht sie einfach nicht, und jetzt, wo ihre Augen schlechter werden, kann sie die Aufschriften der Etiketten nicht mehr richtig lesen. Wenigstens bin ich nicht rotbraun wie Maura O’Donnell.«
    »Du trägst es mit Würde«, meinte Nora lächelnd.
    »Mein Mann nennt mich Violetta. Ihm gefällt’s überhaupt nicht. Zum Glück wächst’s irgendwann wieder raus.« Sie reichte Nora zwei Briefe. »Deine Post.«
    Auf einem befand sich kein Absender, der andere war von ihrer Freundin Miriam. In ihrem letzten hatte sie geschrieben: »Ich denke an dich.« Dem Satz war die Mühe, die richtigen Worte zu finden, anzumerken gewesen. Der Brief hatte sich gelesen wie ein Kondolenzschreiben, was er letztendlich auch war. Mittlerweile fühlte sich Nora sehr weit weg von der Welt der Oak Street Nummer 16. Von Nachbarn wie Miriam, die nach dem Skandal mit Lasagne oder Enchiladas bei ihr erschienen waren, als könnte sie plötzlich nicht mehr selbst kochen, als wäre jemand gestorben. Dann waren da noch die anderen gewesen, die hinter den Jalousien hervorgelugt, voller Neugierde die Fernsehwagen beobachtet oder bei ihrem Briefkasten gewartet hatten in der Hoffnung, interviewt zu werden, im Rampenlicht zu stehen, über sie, Malcolm, die Mädchen zu reden, falsche Nähe zu suggerieren.
    Auf diesem Teil der Insel gab es nur die einsame Muschelstraße, die in klaren Nächten schimmerte und an nebligen Abenden im Dunst verschwand.
    »Neuigkeiten von zu Hause?«, erkundigte sich Polly, während der Motor im Leerlauf vor sich hin tuckerte. Sie hatte das Fenster heruntergekurbelt, ihr sommersprossiger Arm ruhte auf der Türkante, ein Postsack lag auf dem Sitz neben ihr. Aus dem altmodischen Kassettenrekorder ertönte blechern Aretha Franklins »Respect«.
    »Ein Brief von einer Freundin«, antwortete Nora.
    »Kommt sie zu Besuch?«
    »Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht.«
    »Im Cottage ist nicht viel Platz für Gäste, was?«
    »Nein.« Nora war klar, dass Polly mehr über Malcolms Aufenthalt erfahren wollte.
    »Hausgäste können manchmal anstrengend sein. Mich stören sie aber nicht. Ich mag Gesellschaft. Wo stecken eigentlich die Mädchen?«
    »Unten am Strand. Sie haben ein Ruderboot entdeckt.«
    »Das von Maeve? Wenn du es nicht mehr willst, könnten wir’s ins Museum stellen«, schlug Polly vor. »Manche behaupten, deine Vorfahren hätten einen Pakt mit dem Meer geschlossen, damit es ihnen gewogen blieb. Bei Maires Mann, dem Armen, hat’s nicht funktioniert. Aber der war ja auch kein McGann.«
    »Bei meiner Mutter auch nicht.« Obwohl die eine McGann gewesen war.
    »So viele Geschichten.« Polly blickte Nora an. »Wir haben alle unsere Geschichten und Mythen, stimmt’s? Die Historiker glauben, sie seien neutral und beriefen sich ausschließlich auf Fakten, aber auch die können unzuverlässig sein, je nachdem, von wem sie stammen.«
    »Wie meinst du das?«
    »Es ist allgemein bekannt, dass ich gern rede. Als Mädchen haben sie mich Babs genannt, kurz für ›babbling brook – plapperndes Bächlein‹. Spitznamen – ein gutes Wort, nicht? Sie sind tatsächlich immer auch ein bisschen spitz. Mich hat das ›Babs‹ nicht gestört. Nur nicht drum kümmern, lautet mein Motto. Jedenfalls könnten dir die Alten mehr über Maeve erzählen. Sie treffen sich mittwochabends bei Cis McClure’s.«
    »Meine Mutter scheint starke Emotionen zu wecken.«
    »Sie war jedenfalls eine bemerkenswerte Frau, so viel steht fest.«
    »Ich habe lange nicht gewusst, ob sie gegangen oder verschwunden ist, und mir eingeredet, dass das nicht wichtig ist …« Die Worte waren heraus, bevor Nora sie zurückhalten konnte.
    »Ist es aber. Solche Fragen treffen einen im Innersten«, sagte Polly. »Fahr später in den Ort. Die meisten dürften dort sein oder zumindest die üblichen Verdächtigen. Ich stelle sie dir vor.«
    »Gern.«
    »Maire passt bestimmt für dich auf die Mädchen auf. Seit Joes Tod geht sie nicht mehr zu McClure’s, weil Joe dort Geige gespielt hat. Für sie ist

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