Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Mädchen in den Wellen

Das Mädchen in den Wellen

Titel: Das Mädchen in den Wellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heather Barbieri
Vom Netzwerk:
laut.«
    »Ich bin nicht laut.« Wie konnte er es wagen, ihr Vorschriften zu machen? Am liebsten hätte sie ihn angeschrien.
    »Doch. Sie könnten dich hören.«
    Die Mädchen, die Trumpfkarte, die sie nicht zu spielen versuchten.
    Vielleicht sprach sie tatsächlich zu laut, obwohl ihn wahrscheinlich eher ihr Tonfall störte. Er war es nicht gewohnt, dass sie so mit ihm redete – scharf, schneidend, ohne jede Zuneigung. Sie hatte ihm in ihrer Liebe so viele Jahre so vieles nachgesehen.
    »Warum bist du hergekommen?«, fragte sie mit leiserer Stimme. »Warum?«
    »Ich wollte sehen …« Er stockte. Das erlebte sie zum ersten Mal.
    »Was dir fehlt?«
    Er senkte den Blick.
    »Und, weißt du es jetzt, Malcolm?« Reichte es, ihn zum Bleiben zu bewegen? Und falls ja: Machte sie sich genug aus ihm, vertraute sie ihm genug, um das zuzulassen?
    Seine Finger strichen über die Handytasten, vielleicht, um die Nummer zu wählen, die er auswendig kannte. Als er bemerkte, wie sie seine Hand anstarrte, hielt er inne, zu spät. Er hatte sich verraten. Ihr war klar, dass er das nicht bewusst getan hatte. Er brachte sie zur Verzweiflung, indem er in die Defensive ging, sie abzulenken und zu täuschen versuchte, ja, aber er war nicht manipulativ, sondern einfach nur er selbst und letztlich genauso unfähig, sich für sie zu verändern, wie sie für ihn. »Und was ist mit meinen Bedürfnissen? Hast du die schon mal bedacht?«
    »Ich dachte, du wolltest es noch einmal versuchen.«
    »Das habe ich. Du nicht. Du hast nicht das Geringste getan.«
    »Woher willst du das wissen?«
    »Beleidige bitte nicht meine Intelligenz«, sagte sie. »Bitte geh jetzt.« Sie schob ihn weg. »Du hättest nicht herkommen sollen.«
    Er nahm seine Gerichtspose ein, die Pose, mit der er Fall um Fall gewann. »Ich mag nicht so rumgestoßen werden.«
    »Armer Malcolm. Jetzt bist du wieder das Opfer.«
    »Du bist nie zufrieden, oder?«
    »Die Antwort darauf kennst du.«
    Er versuchte es mit einem anderen Ansatz. »Und die Mädchen? Es ist deine Aufgabe, sie zu schützen.«
    »Ach nein. Hau ab!«
    »Mäßige dich.«
    »Sie schützen? Genau das tue ich. Ich bezweifle, dass du das auch von dir behaupten kannst.« Sie kehrte ihm den Rücken zu und entfernte sich. Von ihm würde sie sich nicht unterkriegen lassen.
    Der Rest des Tages verging. Mit den Mädchen redeten sie in zu fröhlichem Tonfall, miteinander so wenig wie möglich. Ihre Bewegungen waren sorgfältig choreographiert wie in einem Tanz, ihre Sätze abgezirkelt, als hätten sie wochenlang geprobt.
    Als Nora am folgenden Morgen aufwachte, war er weg. Obwohl das nicht unerwartet kam, überraschte es sie doch. Und sie spürte seine Abwesenheit deutlicher, als ihr lieb war. Er war nach wie vor ein Teil von ihr, ob ihr das gefiel oder nicht. Nora legte seine Decken in den Schrank und steckte die Laken in eine Tüte, um sie später Maire zum Waschen zu bringen.
    »Wo ist er?«, fragte Ella weinend.
    »Er ist nach Boston zurückgefahren.«
    »Was?«
    »Tut mir leid, Liebes. Er konnte nicht länger bleiben.«
    »Warum nicht?«
    »Die Arbeit …« Und die anderen Dinge, über die sie nicht sprechen durfte.
    »Du hast ihn vergrault, stimmt’s?«, warf Ella ihr vor. »Was hast du zu ihm gesagt?«
    »El, ich tue mein Bestes, für uns alle.«
    »Das reicht nicht.«
    Annie hielt sich die Ohren zu. »Hört auf zu schreien!«
    Sie drehten sich zu ihr um.
    »Er hat sich nicht mal verabschiedet«, jammerte Annie. »Das macht er sonst immer.«
    Nora nahm sie in den Arm. Annies Tränen hinterließen einen feuchten Fleck auf ihrer Bluse. Ella rannte hinaus und schlug die Tür hinter sich zu.
    »El …«, rief Nora ihr nach.
    Malcolm hatte den Mädchen nicht gesagt, dass er abreisen würde, um ihnen – und sich selbst – eine Szene zu ersparen. Letztlich, dachte Nora, war es besser so.
    Ella setzte sich unter die Fichte, den Blick auf den Drachen gerichtet, der nach wie vor oben im Baum hing. So blieb sie eine ganze Weile sitzen, als könnte sie den Drachen durch bloße Willenskraft herunter- und ihren Vater zurückholen. Als sie schließlich erschöpft wieder im Cottage auftauchte, ließ Nora ihr ein heißes Bad ein, um die Tränen wegzuwaschen.
    In den folgenden Tagen bleichte der Drachen aus, und das Papier ging kaputt. Ein mit Bändern versehener Teil seines Schwanzes verfing sich flatternd am Dach, ein trauriger Zeuge der Tage, die sie als Familie verbracht hatten. Irgendwann riss der Wind ihn los und trug ihn über die

Weitere Kostenlose Bücher