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Das Mädchen in den Wellen

Das Mädchen in den Wellen

Titel: Das Mädchen in den Wellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heather Barbieri
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Bucht hinaus aufs offene Meer.

VIERZEHN
    A nnie und Ella saßen am Strand im Ruderboot, der Sand, die Felsen und das Treibholz ihr Meer. Die Kiesel glänzten zwischen dem weißen Schaum, den die Wellen zurückließen. Es roch nach Seetang, die Lippen der Mädchen schmeckten nach Salz. Strähnen lösten sich aus ihren Haaren, die sie hinter die Ohren schoben, während sie auf die lockende, Abenteuer versprechende See hinausblickten.
    »Es ist einfach nicht das Gleiche.« Ella warf frustriert das Plastikrohr weg, das sie als Teleskop verwendet hatte.
    »Wir dürfen nicht mit dem Boot rausfahren.« Annie sprang ins seichte Wasser – in dieses atemberaubende, Gänsehaut erzeugende, köstlich kalte, unvergleichliche Nass.
    Wäre ihr Vater da gewesen, hätte er sie begleitet.
    Ella stapfte den feuchten Sand entlang; ihre Spuren füllten sich mit Wasser. »Wir haben nichts versprochen.« Sie presste die Lippen zusammen.
    »Aber sie denkt das.« Annie schöpfte eine Handvoll Wasser, das zu ihrem Erstaunen klar wurde, wenn es, getrennt vom großen Meer, zwischen ihren Fingern hindurchrann.
    »Möglich, aber wir haben es nie gesagt, und deshalb zählt es nicht.«
    »Trotzdem wäre es verboten und gelogen. Sie ist schon traurig genug.«
    »Traurig und sauer sind zwei Paar Stiefel.«
    »Sie ist doch beides, oder? Ich will nicht, dass sie sauer auf mich ist.«
    »Mach, was du willst. Mich interessiert’s nicht, ob sie sauer auf mich ist oder nicht.«
    Die Seehunde beobachteten sie von den Felsen aus. »Sie wollen mit uns spielen«, sagte Annie, die an Ronan dachte. Sie hatte ihn seit Tagen nicht gesehen. Wussten die Seehunde, wo er war? »Sie spielen gern verstecken.«
    »Ob sie sich näher an uns heranwagen würden, wenn wir mit dem Ruderboot rausfahren?«, fragte Ella.
    »Vielleicht kommen sie an Land, wenn wir hier sitzen bleiben«, schlug Annie vor. »Sie sonnen sich gern auf den Felsen und lassen ihre Jungen dort, während sie Fische fangen.« Reilly hatte ihnen geraten, wegen der Jungen Abstand zu halten.
    Ella ließ sich in den Sand plumpsen. Die Wolken bewegten sich wie in einer Prozession nach Süden, nach Boston – zu ihrem Vater. Sie deutete hinauf, als könnte sie sich ihnen anschließen.
    Von der Landspitze bellte Patch herüber. Reilly warf mit gebeugten Schultern die Angel aus, die Augen aufs Wasser gerichtet, das an jenem Tag die Beute nur widerwillig freigab. Nach der Begegnung mit Nora schien Reilly Distanz zu den Mädchen zu halten.
    »Komm.« Ella nahm Annies Hand.
    »Aber Mama hat gesagt …«
    »Sie hat nicht gesagt, dass wir nicht mit ihm sprechen dürfen. Reden ist nichts Schlimmes, oder?«
    »Nein«, musste Annie zugeben, der Reilly und Patch fehlten.
    Patch begrüßte sie bellend von einem Granitblock aus. Reilly winkte sie zu sich.
    »Wo waren Sie?«, fragte Annie.
    »Das Gleiche könnte ich euch fragen.«
    »Wir hatten Hausarrest«, erklärte Ella.
    »Und jetzt habt ihr Bewährung, was?« Über ihnen kreisten Seevögel. »Als Junge hätte ich gern so fliegen können wie sie. Dann wäre ich einfach ins Wasser getaucht und hätte alle Fische der Welt gefangen. Ihre Silberschuppen hätten sich in Münzen verwandelt. Ich hatte eine lebhafte Fantasie.«
    »Haben Sie heute schon was gefangen?«, erkundigte sich Annie. Sie hatten sich gesetzt, ihre Füße – die von Reilly mit Stiefeln, die der Mädchen mit roten und schwarzen Converse-Sneakers bekleidet – baumelten über der donnernden Brandung.
    »Nichts Aufregendes. Die großen Fische sind im tiefen Wasser. Hier erwische ich bloß die kleinen. Die schmecken nicht so gut, weil sie nicht genug Fett zwischen den Gräten haben. Ich würde so gern aufs Meer hinausfahren.«
    »Wir auch.«
    »Habt Geduld. Irgendwann erlaubt eure Mutter euch das bestimmt.«
    Die Angelschnur straffte sich, dann wurde sie wieder schlaff. Reilly ließ die Schultern hängen. »Geduld«, ermahnte er sich.
    »Meine Mutter schreibt mir ständig vor, was ich zu tun und zu lassen habe«, beklagte sich Ella.
    »Sie sorgt sich um eure Sicherheit.«
    »Wovor will sie uns beschützen?«
    »Vor allem, was euch gefährlich werden könnte.«
    Ella sah aufs Meer hinaus. »Würden Sie uns am Strand das Navigieren beibringen?«
    »Ich will mir nicht den Unmut eurer Mutter zuziehen.«
    »Wir dürfen nur nicht rausfahren. Sie hat sicher nichts dagegen, wenn wir an Land was lernen. Sie haben doch einen Kompass, oder?«
    »Ja. In der Tasche. Ein Familienerbstück. Inseltradition, könnte man

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