Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Mädchen in den Wellen

Das Mädchen in den Wellen

Titel: Das Mädchen in den Wellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heather Barbieri
Vom Netzwerk:
verbarg.
    »Owen. Ich weiß, dass du dir nicht sicher warst, ob er bleibt.«
    »Du hast uns mit offenen Armen empfangen – uns beide«, sagte Nora ausweichend.
    »Ich freue mich, dass ihr da seid. Ich habe lange genug allein rumgewurstelt.« Plötzlich wirkte sie sehr klein und zerbrechlich. »Fühlst du dich auf der Insel zu Hause? Das würde ich mir wünschen – weil sie dein Zuhause ist. Hier gibt es keinen Anwalt, oder du könntest dich aufs Kochen oder auf den Meerglasschmuck konzentrieren. Der ist sehr hübsch. Maeve wäre stolz auf dich.«
    Nora konnte sich durchaus vorstellen, über den Sommer hinaus zu bleiben, von Tag zu Tag mehr, doch es war noch zu früh, solche Entscheidungen zu treffen. »Warten wir’s ab. Mir gefällt’s hier, aber ich muss mir über manches klar werden.«
    »Ich weiß. Das Leben ist kompliziert.«
    »Und ich muss die Insel und meine Geschichte besser verstehen lernen. Ich kann die Vergangenheit nicht ruhen lassen.«
    Die Bienen summten lauter, ein Klagegesang. Maire hielt den Blick auf die Bienenstöcke gerichtet.
    »Was verschweigst du mir?«
    Maire zögerte. »Ich habe gewartet, bis du ein Gefühl für die Eigenheiten der Insel bekommen hast, die Andersartigkeit, die nur wenige verstehen. Und ich hatte Angst, dass du gehen würdest, sobald du sie spürst. Ich will nicht noch einmal jemanden verlieren.« Tränen traten ihr in die Augen.
    Nora berührte ihren Arm. »Du wirst mich nicht verlieren. Bitte. Du musst mir helfen, alles zu begreifen.«
    »Gut, ich erzähle es dir, auch wenn du es mir möglicherweise nicht glaubst. Ich weiß ja nicht mal, ob ich es selber glaube. Erinnerst du dich an die Karten im Speicher und was ich dir darüber erzählt habe, dass unsere Vorfahren angeblich einen Pakt mit dem Meer und den Seehunden geschlossen hatten? Am Anfang befand sich alles im Gleichgewicht, doch mit der Generation meiner Eltern hat sich etwas geändert. Ich werde das Gefühl nicht los, dass das etwas mit dem Verschwinden deiner Mutter und dem Streit zwischen meinen Eltern zu tun hatte, den ich eines Abends mitbekommen habe. Ich war in dem Sommer vierzehn, Maeve sechzehn; sie hatte wieder das Wettschwimmen gewonnen. Meine Mutter war überzeugt davon, dass Maeve nicht ihr Kind war, sondern ein Wechselbalg, ein Geschöpf des Meeres. Dass ihre Fähigkeit, so lange den Atem anzuhalten und so schnell zu schwimmen, das bewies. Dass mein Vater sie am Strand gefunden und sie gegen ihr leibliches Kind ausgetauscht hatte, das gestorben war, bevor meine Mutter nach der schwierigen Geburt wieder das Bewusstsein erlangte. Maeve und meine Mutter haben sich nie vertragen. Und als Maeve ins Teenageralter kam, haben sich die Konflikte zwischen ihnen verschärft. Maeve verfügte über einen ziemlich starken Willen. Jedenfalls hat Dad mich beim Lauschen vor der Schlafzimmertür meiner Eltern erwischt und mir gesagt, ich darf keiner Menschenseele erzählen, was ich gehört habe. Weil man manche Dinge besser auf sich beruhen lässt.«
    »Wusste meine Mutter Bescheid?«
    »Ja. Als ich eines Tages wütend auf sie war, habe ich es ihr erzählt. Ich habe ihr gesagt, dass sie gar nicht meine Schwester ist. Danach haben wir uns schrecklich gestritten. Wir haben uns gegenseitig Wunden zugefügt, körperliche wie seelische, die Narben hinterließen.« Sie zog den Kragen von ihrem Hals weg, um Nora die helle sichelförmige Narbe daran zu zeigen. »Danach hat sie sich von uns allen distanziert, bis dein Vater auftauchte.«
    Das laute Summen der Bienen dröhnte Nora in den Ohren. »Ist die Geschichte wahr?«
    »Ich weiß es nicht. Das weiß niemand.«
    »Wenn ja«, sagte Nora nachdenklich, »bin ich keine McGann …«
    »Doch, zumindest über meinen Vater. Wir sind miteinander verbunden, wenn auch möglicherweise nicht so, wie wir denken.«
    »Wurden die Einzelheiten der Geburt nicht von einem Arzt festgehalten?«
    Maire schüttelte den Kopf. »Bis nach deiner Geburt gab es keinen Arzt auf der Insel. Davor nur Hebammen aus unserer Familie. Meine Mutter hat uns zu Hause auf die Welt gebracht; nur mein Vater war dabei. So wurde das damals gehandhabt.«
    »Aber die Totgeburt, von der deine Mutter gesprochen hat …«
    »Die wurde unter den Teppich gekehrt, niemals schriftlich erfasst. Vielleicht hat sie sich überhaupt nicht ereignet. Es war eine schwere Geburt gewesen, meine Mutter hatte Fieber. Gut möglich, dass die Totgeburt und der Kindstausch eine Halluzination waren. Sie hat hinterher Wochen gebraucht, sich

Weitere Kostenlose Bücher