Das Maedchen mit dem Flammenherz
ihm, ich bin bereit, mich von ihm untersuchen zu lassen, wenn er mich mit einigen seiner Maschinen üben lässt.«
Sie hatte keine Kleidung. Diese Erkenntnis traf Finley, sobald sie auf dem Schreibtisch in Griffins Zimmer erwachte. Das Korsett, das sie getragen hatte, war ramponiert, und der Rock sah sogar noch schlimmer aus. Die Pantalons waren von der Landung auf dem Boden schmutzig und voller Blutflecken. Lediglich die Socken waren noch einigermaßen sauber.
In ihrem Hotelzimmer hatte sie auch nicht mehr viel, denn sie hatte die meisten sauberen Sachen zu Dalton mitgenommen. Emilys Kleidung passte ihr nicht, also blieb nur eine Möglichkeit.
Griffin.
In das Laken gewickelt, sprang sie vom Schreibtisch. Ihr Rücken juckte und stach ein wenig, als hätte sie dort einen Ausschlag oder mehrere Insektenstiche, aber allzu schlimm war es nicht. Sie schuldete Emily eine kräftige Umarmung dafür, dass sie all die Splitter herausgefischt hatte, ohne das Rückenmark zu verletzen. Gute Arbeit. Gleichzeitig empfand sie eine morbide Neugier und fragte sich, ob auch ihr Rückenmark verheilt wäre.
Sie klemmte sich eine Ecke des Bettlakens unter den Arm, damit es nicht herunterfiel, öffnete den Schrank und betrachtete die Kleidung. Griffin war groß, aber schlank, also sollten seine Sachen einigermaßen passen. Sie entschied sich für eine graue Hose, ein weißes Hemd und eine Weste. Dann warf sie die Beute auf das Bett und zog sich an. Dabei lauschte sie aufmerksam, ob jemand käme. Wenn einer der Jungs hereingekommen wäre und sie splitternackt gesehen hätte, wäre sie zur Salzsäule erstarrt.
Zuerst stieg sie in die Hosen. Sie waren viel zu lang und an den Hüften ein wenig zu eng, aber es ging so gerade eben. Auch das Hemd war zu lang und spannte ein wenig am Oberkörper. Sie stopfte die Enden in den Hosenbund und krempelte sich die Ärmel hoch, ehe sie die Weste anzog. Sie wirkte wie ein Korsett, bedeckte ihre Blöße und stützte sie, und außerdem fand sie, dass sie darin scharf aussah. Die langen Hosenbeine steckte sie in die Stiefel und band die Schnürsenkel zu.
Als sie endlich fertig war, widerstand sie dem Drang, sich am Rücken zu kratzen, ging zur Tür und griff nach dem Türknauf. In diesem Moment fiel ihr etwas ein. Eine Erinnerung.
Sie erinnerte sich, dass Griffin und Emily geredet hatten. War es ein Traum oder real gewesen? Griffin hatte gesagt, er wüsste nicht, ob er ihr trauen konnte, und Emily hatte ihn gefragt, ob sie das Risiko wert sei. Aber was hatte er darauf geantwortet? Sie konnte sich nicht erinnern.
Auf einmal hatte sie ein flaues Gefühl in der Magengrube. Wenn Griffin nicht sicher war, ob er ihr trauen konnte … ach, verdammt. Wenn Griffin Zweifel hatte, dann musste sie diese Zweifel eben zerstreuen. Ganz einfach. Hatte er sie nicht auch überzeugt, dass er anders war als die verdorbenen reichen Bengel, denen sie vorher begegnet war?
Als sie das Zimmer verließ, begriff sie auf einmal, warum Emily so gern Männerkleidung trug. Es war befreiend. Und außerdem bequem.
In Sams Zimmer waren offenbar mehrere Personen in ein angeregtes Gespräch vertieft. Zweifellos überlegten sie, wie sie Dalton ausschalten konnten. Hoffentlich planten sie auch, bald nach England zurückzukehren. New York war schön, aber sie wollte wieder nach Hause. Sie wollte sich mit einem Buch vor eins der vielen Fenster in Griffins Bibliothek setzen, mal wieder Fisch und Chips essen.
Alle drehten die Köpfe, als sie eintrat, doch die seltsamste Grimasse schnitt Griffin. Er sperrte erstaunt den Mund auf, als er sah, was sie trug.
»Ich hoffe, du hast nichts dagegen«, erklärte sie. »Meine sauberen Sachen sind bei Dalton.«
»Überhaupt nicht.« Er schüttelte den Kopf, und sein Blick verriet ihr, dass er es mochte, wenn sie seine Sachen trug. Anscheinend war das so ein Männerding, denn sie hätte ihn gewiss nicht in ihren Sachen sehen wollen.
»Haben wir schon einen Plan?« Sie ließ sich neben Griffin auf Sams Bett nieder. Emily kam und umarmte sie behutsam, um den Rücken zu schonen, doch Finley drückte sie an sich und hauchte ihr ein gemurmeltes »Danke« ins Ohr.
»Wir sind gerade dabei«, erklärte Griffin. »Wir wissen, dass Dalton es mit ziemlicher Sicherheit auf den Diamanten abgesehen hat, der im Museum of Science and Invention gerade von der Historical Society ausgestellt wird. Ich kann uns Zugang zu der Eröffnung verschaffen. Falls Dalton sein Gerät mit hineinbringt, kann Emily es abschalten,
Weitere Kostenlose Bücher