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Das Maedchen mit dem Stahlkorsett

Titel: Das Maedchen mit dem Stahlkorsett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kady Cross
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in verschiedenen Formen und Größen.
    In einer Ecke hockte eine große Katze aus grauem Metall. Sie erinnerte Finley an die Kupferstiche exotischer Dschungelkatzen, die sie einmal gesehen hatte. Sie war schön und zugleich irgendwie … verkehrt.
    Auf einem langen Tisch in der Mitte des Raums lag ein Auto mat mit einem Rumpf aus stumpfem Messing, die vordere Blende fehlte. Finley dachte an die Zeichnungen in den medizinischen Lehrbüchern, die ihr Stiefvater in seinem Laden verkaufte. Dieses Exemplar hier bestand aber glücklicherweise aus Metall und nicht aus Fleisch und Blut.
    Auf einem anderen Tisch lag Königin Victorias wächsernes Ebenbild. Es war so lebensecht, dass es Finley kalt den Rücken hinunterlief. Nein, die Figur wirkte eher wie eine Leiche – eine arme alte Frau, die neben ihrer Kleidung auch das Leben verloren hatte. So realistisch war die Nachbildung, dass man fast das Bedürfnis verspürte, um die Herrscherin zu trauern, sie mit einem Tuch zu bedecken und ein kurzes Gebet für die Tote zu sprechen.
    Allerdings war dies letzten Endes doch nur eine Puppe. Finley trat näher heran. Wachs, kein Fleisch und Blut. Kein richtiger Mensch. Trotzdem zögerte ihre Hand eine Sekunde, bevor sie die Figur berührte. Sie tastete die Rippen ab. Das Wachs war hart und gab nicht nach. Finley seufzte erleichtert.
    Emily lächelte sie an. »Hast du befürchtet, sie werde sich aufrichten und dich beißen?«
    Finley kicherte ein wenig verlegen und lachte schließlich über sich selbst. »Bis zum Aufrichten konnte ich es mir gerade noch vorstellen.«
    »Ich finde sie unheimlich, wie aus einer Gruselgeschichte.«
    Emilys freundliches Lächeln trug mehr als alles andere dazu bei, Finley die Unsicherheit zu nehmen, sogar mehr als das Bewusstsein, dass sie die Figur jederzeit zerstören konnte, falls sie etwas Unschönes tat.
    Sie runzelte die Stirn. Der Dieb hatte die Figur nur teilweise entkleidet und ihr einen Teil ihrer Würde belassen. Und dann hatte er sie in Whitechapel abgestellt, wo von Würde keine Rede sein konnte.
    »Warum hat der Kerl bloß die Kleidung behalten und die Figur vor Jacks Haustür abgesetzt?«
    »Aaaah, Jack heißt er, ja?«, neckte Emily sie. »Dann seid ihr zwei wohl eng befreundet?«
    Finley konnte nicht anders, sie musste grinsen. »Du hast gut reden, mich aufzuziehen, während Sam und der hübsche Cowboy um dich herumscharwenzeln.« Sie betrachtete wieder die Wachsfigur, und die Belustigung verflog schlagartig. »Ähm, Emily? Ich glaube, ich weiß, warum er die Figur geklaut hat.«
    Die Rothaarige kam um den Tisch herum und blickte auf die Stelle, die Finley ihr zeigte.
    »Oh, aye. Mir ist auch schon aufgefallen, dass sie fehlen.«
    Wo die Glasaugen der Figur hätten sein sollen, klafften leere Höhlen.
    »Hier kann man sehen, wie er sie herausgehebelt hat.« Finley deutete auf die Wimpern. Es war ein unangenehmer Anblick. »Aber was will jemand mit Glasaugen?«
    »Damit kann man eine Menge anfangen. Manche Menschen haben Glasaugen, auch Puppen. Auch bei komplizierten lebensechten Automaten werden sie benutzt.«
    Finley merkte auf. »Ich habe hässliche Geschichten darüber gehört, wozu diese Maschinen eingesetzt werden.«
    Emily schnitt eine Grimasse. »Glaube nicht alles, was du hörst. Ich kenne mehrere menschenähnliche Maschinen, die von ihren Besitzern mit dem größten Respekt behandelt werden.«
    »Meinst du, der Maschinist hat die Figur vor allem wegen der Augen gestohlen?«
    »Kann sein. Entweder er braucht sie selbst, oder er verkauft sie. Ich schicke eine Nachricht an meinen Lieferanten und frage ihn, ob er von jemandem gehört hat, der Augen in Victorias Farbe verkaufen will. Gut möglich, dass man sie für gutes Geld verkaufen kann, weil sie ja genau denen Ihrer Majestät entsprechen.«
    Finley hatte die Hand in die Hüfte gestemmt und aufmerksam zugehört. »Du bist wirklich ein sehr kluges Mädchen, Emily.«
    Die Irin platzte fast vor Stolz. »Du bist auch nicht schlecht. Ich würde im Leben nicht mit Jasper in den Boxring steigen.«
    »Nun ja, Jasper würde vermutlich sowieso an ganz andere Dinge denken, falls ihr zwei mal in einem engen Raum allein seid.«
    Emily errötete. »Er neckt mich doch nur, er meint das nicht ernst.«
    Finley verdrehte die Augen. »Ein so kluges Mädchen wie du kann doch nicht so dumm sein. Hat er schon mal versucht, dich zu küssen?«
    »Nein! Natürlich nicht!«
    Finley stützte die Ellbogen neben Victorias Schulter auf den Tisch und grinste.

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