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Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht

Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht

Titel: Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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sie den Fuß wieder auf die Erde setzte. Sie hoffte inständig, dass sie nie wieder eine Sänfte besteigen musste, und hätte nicht gedacht, dass sie sich eines Tages nach einem Pferd wie Apollo zurücksehnen würde.
    Im Gegensatz zu Montceaux glich das Schloss von Meaux mit seinen dicken alten Festungsmauern aus dem frühen Mittelalter eher einer Burg. Diener hatten Fackeln im Hof entzündet, und Soldaten schlossen hinter den Ankömmlingen die großen Tore, deren schwere Eisenriegel von mehreren Männern vorgeschoben werden mussten. Beunruhigt nahm Madeleine wahr, dass oben auf dem Wehrgang zwischen den Zinnen zahlreiche Späher und Bogenschützen postiert waren.
    Die Wache, die sie begleitet hatte, griff sie unauffällig am Arm. »Dort entlang, bitte!«
    Madeleine wandte den Kopf zu dem Mann. Sie war sich inzwischen ziemlich sicher, dass er von Lebrun nicht allein zu ihrem Schutz, sondern ebenso an ihre Seite gestellt worden war, um sie zu bewachen. Dabei war es unnötig. Sie hätte nicht gewagt, hier einen einzigen Schritt allein zu machen. Ihr Blick glitt über die vielen Menschen. Diener, Soldaten, Mägde, Wachen und Edelleute liefen zwischen Pferden und Sänften hin und her, und sie senkte trotz der Verschleierung den Kopf. Ihr Herz klopfte. In Montceaux war sie direkt vor dem Seiteneingang in die Sänfte gestiegen, doch jetzt musste sie den gesamten Hof überqueren, und mehr als einmal erschrak sie, wenn ihr einer der Höflinge entgegenkam, dessen elegante Kleidung sie unwillkürlich an den Herzog d’Aumale erinnerte. Er würde sie nicht erkennen können, sagte sie sich, und trotzdem versetzte sie allein der Gedanke, sie könnte ihm hier unvermittelt gegenüberstehen, erneut in Panik.
    Die Atmosphäre im Hof war angespannt. Immer wieder hörte sie im Vorbeigehen Wortfetzen. Einige Höflinge sprachen von einer Ratssitzung, die von der Königinmutter noch für dieselbe Nacht einberufen worden war.
    »Gott, wie weit sind wir gesunken, dass der König vor dieser Pestbrut die Flucht ergreifen muss!«, sagte ein Mann, dessen Barett von langen Federn geschmückt wurde.
    »Ja, der selige Henri hat es damals richtig gemacht, als er diese Ketzer alle hat brennen lassen!«, erwiderte sein Begleiter mit unterdrückter Wut in der Stimme.
    Madeleine wandte verstohlen den Kopf in die Richtung der beiden. Sie musste plötzlich an die Hugenotten denken – an den Admiral, an Philippe de Ronsard und an Nicolas de Vardes – und fragte sich, ob sie tatsächlich auf dem Weg hierher waren. Es gelang ihr nicht, die gleichen schrecklichen Bilder von diesen Menschen in den Kopf zu bekommen, die alle anderen von ihnen hatten.
    Die Wache war auf einen Seiteneingang des alten Schlosses zugesteuert und führte Madeleine nun weiter durch einen langen düsteren Gang, bis sie ein schlicht eingerichtetes Gemach erreichten. Madeleine spürte unter der Anspannung plötzlich, wie erschöpft sie war. Ihr Rücken schmerzte. Sie zog den Schleier vom Kopf und schaffte es nicht einmal mehr, das Tablett mit dem Essen anzurühren, das ihr ein Diener brachte, sondern entkleidete sich und fiel ins Bett.

69
    A m nächsten Tag wurde sie von lautem Lärm geweckt. Draußen war der Hufschlag von Pferden zu hören. Sie fuhr erschrocken hoch und eilte zum Fenster. Gut zwanzig Offiziere, die die bunte Uniform der Schweizer trugen, waren in den Hof eingeritten. Sie beobachtete, wie sie voller Ehrerbietung von einigen Höflingen begrüßt und dann ins Schloss geleitet wurden.
    Was hatte das zu bedeuten?
    Nur wenig später nahm der Lärm weiter zu, und sie sah Reihen von Schweizer Fußsoldaten mit gegürteten Schwertern und Hellebarden in den Hof einmarschieren. Dicht an dicht drängten sie sich schon bald in ihren bunten Uniformen, so weit man blicken konnte.
    Es musste mehr als ein Regiment sein, dachte Madeleine. Warum so viele? Sie erinnerte sich daran, wie Vardes an einem Abend gegenüber Coligny seine Besorgnis über die Schweizer geäußert hatte, und konnte seine Befürchtungen mit einem Mal verstehen.
    Immer mehr von ihnen strömten in den Hof. Eine wachsende Beunruhigung ergriff Madeleine. Fürchtete man so sehr um ihre Sicherheit?
    Dann erschien plötzlich Lebrun in ihrem Zimmer. Er schloss die Tür hinter sich. »Wie geht es dir?«
    »Danke«, erwiderte sie. Ihr war bewusst, dass seine Frage kaum mehr als eine Höflichkeitsfloskel war.
    »Warum sind so viele Schweizer hierhergekommen?«, fragte sie zaghaft.
    »Sie werden den König sicher nach Paris

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