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Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht

Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht

Titel: Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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hören. Mehrmals kam es zu einem unerwarteten Halt, bei dem der gesamte Tross stehen blieb, während durch die Reihen der Schweizer ein Ruck zu gehen schien und sie sich kaum merklich mit ihnen nach vorn oder zur Seite bewegten. Madeleine be griff, dass es in den Außenreihen zu Kämpfen kam. Sie schauderte.
    Die Anspannung im Inneren des Zuges war unerträglich, da man nicht erkennen konnte, was außen vor sich ging. Die Pferde schnaubten nervös, und man konnte das angsterfüllte Schluchzen einiger Hofdamen hören.
    Schließlich hatten sie die Wipfel der Bäume hinter sich gelassen und waren anscheinend auf einer weiten Ebene angelangt.
    Als der Tross auf einen Fluss zukam und sich anschickte, eine Brücke zu überqueren, mussten sich die Reihen der Schweizer für einen kurzen Moment lichten, und Madeleine sah, was sich wirklich außerhalb des Verteidigungsrings abspielte. Reiter standen auf den Feldern – so weit man blickten konnte. Es mussten Zighunderte von Hugenotten sein – obwohl sie keine Uniformen trugen, waren sie bewaffnet und wurden auf ihren unruhig tänzelnden Pferden nur von den zum Angriff gezückten Lanzen und Hellebarden der Schweizer zurückgehalten. Der Anblick hatte etwas Furchterregendes und Bedrohliches, und Madeleine verstand zum ersten Mal, dass sie sich mitten im Krieg befanden.

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    D ie Narben auf seiner Wange hoben sich von seiner gedunkelten Haut ab, unter der der schmale angespannte Muskel seines Kiefers hervortrat. Mit undurchdringlicher Miene beobachtete Nicolas de Vardes, wie der Zug des Königs an ihnen vorbeizog, ohne dass sie etwas tun konnten. Die wenigen Scharmützel, die es am Wegesrand gegeben hatte, waren nicht mehr als eine kurze Machtprobe gewesen, doch gegen die Wand der Schweizer war nicht anzukommen. Der Prinz de Condé, der neben ihm aufrecht auf seinem Pferd saß, ballte voller Zorn die Faust. Er dachte das Gleiche wie er – ihre Chance war vertan, und alles nur, weil sie zu lange gezögert hatten! Doch Vardes war überzeugt, dass das nicht der einzige Grund war. Jemand aus ihrem inneren Kreis hatte ihre Pläne verraten, nur so war es möglich, dass die Schweizer so schnell hatten hier sein können.
    Schon seit einiger Zeit hegte Vardes die Befürchtung, dass es einen Verräter unter ihnen gab.
    Er blickte auf das Meer von Schweizern, das sich langsam vorwärtsschob. Man hätte sich fast geschmeichelt fühlen können, dass die Medici und ihr Sohn eine solche Armee einsetzten, um sich vor ihnen zu schützen, dachte er voller Ironie. Doch leider war ihm nur zu bewusst, wie bedrohlich diese Übermacht war – schon bald würden sie gegen genau diese Männer kämpfen. Nach dem, was heute geschehen war, bestand darüber kein Zweifel mehr.
    Vardes war von Anfang an kein großer Fürsprecher des Plans gewesen, den König in ihre Hände zu bringen, doch sie hatten gehofft, den bevorstehenden Krieg dadurch noch abwenden zu können. Coligny hatte fernab des Hofes mit dem König sprechen wollen, um ihn von den friedlichen Absichten der Hugenotten zu überzeugen und ihm einen Beweis für die intriganten Absichten der Guise zu liefern. Der Brief, den der Kardinal de Lorraine an den spanischen König geschrieben hatte und der durch einen glücklichen Zufall in ihre Hände geraten war, war diesbezüglich erfreulich deutlich. Der Kardinal brüstete sich darin, dass Charles völlig unter seinem Einfluss stände und nun seinen Pflichten als katholischer Herrscher nachkommen würde, da er endlich er kannt habe, dass man den Hugenotten, einer Schlange gleich, zuerst den Kopf abschlagen müsse, wenn man sie vernichten wolle.
    Kannte man den König etwas, wusste man, in welche Wut es ihn versetzen würde, wenn man seine Autorität derart anzweifelte und untergrub, wie es diese Zeilen auf herablassendste Weise taten. Ihr Plan hätte daher aufgehen können. Nun würden jedoch die Waffen diesen Kampf austragen – denn man würde sie der Rebellion verdächtigen, und der König würde ihnen die Demütigung, dass er vor ihnen hatte fliehen müssen, nie verzeihen. Die einzige Möglichkeit, die ihm blieb, war die, als Erster zuzuschlagen.
    Er beobachtete, wie die Nachhut der Schweizer langsam die Brücke überquerte, und griff nach den Zügeln, um sein Pferd in die entgegengesetzte Richtung zu lenken. Es gab nichts mehr, was er hier tun konnte. Eine kalte Wut erfasste ihn, dass sie so hatten scheitern können. Sollte es wirklich einen Verräter unter ihnen geben, würde er dafür büßen,

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