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Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht

Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht

Titel: Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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ungewöhnliche Weise mein Leben durch Eure Hand retten ließ!«, setzte er mit einem entwaffnenden Lächeln hinzu.
    Madeleine erinnerte sich plötzlich an ihren immer wiederkehrenden Traum und daran, dass sie ihn darin gesehen hatte, wie er voller Verzweiflung weinte. Ein beklemmendes Gefühl beschlich sie, und etwas in ihr spürte, dass Henri de Navarres Schicksal eines Tages tatsächlich, weit bedeutungsvoller sein würde, als er oder sie es sich jetzt vorstellen konnten.

109
    N icolas’ Blick glitt erneut zum Hof hinaus. Überrascht hatte er beobachtet, wie der junge Henri de Navarre und Madeleine sich begrüßten, als würden sie sich seit Langem kennen. Ein leiser Stich durchfuhr ihn, den aber nicht die Eifersucht verursachte. Der Prinz war nicht einmal fünfzehn, und auch wenn sein Aussehen und reges Interesse bereits jetzt die Leidenschaft ahnen ließen, mit der er sich eines Tages den Frauen zuwenden würde, war er für ihn weiß Gott keine Konkurrenz. Doch Nicolas fragte sich, woher die beiden sich kannten. Sie waren zum Garten hin entschwunden, und ihm wurde wieder einmal bewusst, wie viel es gab, das er nicht über Madeleine wusste.
    Noch immer wartete er darauf, dass sie ihm alles anvertraute, doch sie schien Zeit zu brauchen. Madeleine war oft besorgt und angespannt. Er nahm an, dass sie die Angst beherrschte, eine ihrer Visionen könnte sie unvorhergesehen wieder ergreifen – oder die Frage, ob sie konvertieren sollte, beschäftigte sie. Sein Drängen hatte sie vermutlich zusätzlich unter Druck gesetzt. Dabei ging es ihm allein um ihre Sicherheit.
    »Die Frage unseres Glaubens ist schon lange keine nationale Frage mehr, wie sich zeigt. Ganz Europa wird diesmal auf französischem Boden kämpfen«, sagte der Admiral, den er wenig später aufsuchte. Auch der Prinz de Condé und Jeanne d’Albret, die Königin von Navarre, waren anwesend.
    Schon lange waren Coligny und auch Condé davon überzeugt, dass die Protestanten sich über die Grenzen ihres Landes hinweg solidarisieren mussten, und genau das würde nun geschehen.
    Coligny hatte eine große Karte entrollt und tippte darauf.
    »Die Truppen des Prinzen d’Orange werden von Osten her über das Elsass nach Frankreich eindringen«, erklärte er.
    »Wann werden wir mit ihnen rechnen können?«, erkundigte sich Condé.
    »Nicht vor November!«, meinte der Admiral. Er wandte sich zu Nicolas. »Der Herzog von Zweibrücken hat uns seine militärische Unterstützung bestätigt. Uns hat gerade ein Schreiben unseres Agenten Francourt erreicht. Wir werden sechstausend Reiter und sechzehntausend Mann Infanterie erhalten. Die Entlohnung der Männer haben selbstverständlich wir zu übernehmen.«
    »Das sind gute Nachrichten!«, stellte Nicolas erfreut fest. Schon im Juli hatten sie ihren Agenten Francourt zu Verhandlungen in die Pfalz geschickt. England würde ihnen die notwendigen Summen dafür verauslagen. »Dann leiht uns Königin Elisabeth von England die zweihunderttausend Ecus, ohne dass wir ihr eine Sicherheit für das Geld geben?«, erkundigte er sich.
    »Nein«, mischte sich Jeanne d’Albret mit klarer Stimme ins Gespräch. »Das tut sie nicht, aber sie hat meine Juwelen als Sicherheit akzeptiert – von Königin zu Königin.«
    Nicolas neigte respektvoll den Kopf.
    Jeanne d’Albret lächelte leicht. Während der Prinz de Condé und der Admiral die militärische Führung übernahmen, würde sie sich von La Rochelle aus um die finanziellen Mittel, die Verwaltung und die Kommunikation nach außen kümmern. Nicolas war sich sicher: Niemand würde diese Aufgaben besser zu bewältigen wissen und mehr Respekt genießen als sie. Jeanne d’Albret besaß nicht nur eine scharfe Intelligenz und war von den tiefen moralischen Werten der Protestanten durchdrungen, sondern in ihren Adern floss auch das Blut der Könige Frankreichs. Ihre Mutter war die Schwester François’ I. gewesen.
    Coligny blickte zu Nicolas. »Der Prinz de Condé und meine Person müssen den Vertrag des Herzogs von Zweibrücken noch bestätigen. Ich möchte, dass Ihr mit unserer Antwort nach Deutschland reist und dort mit Francourt die Truppenerhebung überwacht und sie mit unserem Bündnispartner nach Frankreich begleitet.«
    Nicolas nickte. »Es wird mir eine Ehre sein!«, sagte er.

110
    S chon von Weitem sah sie, dass sich vor dem Krämerladen eine Menschenmenge angesammelt hatte.
    Madeleine verlangsamte überrascht ihren Schritt. Die Leute redeten aufgeregt miteinander – sie wirkten

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