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Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht

Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht

Titel: Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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Geschehnisse hier. Noch immer ließ sie Dinge aus, von denen sie glaubte, sie könnten die Hugenotten in Gefahr bringen, doch sie war vorsichtiger geworden und teilte dem Geheimdienstchef nun regelmäßig Einzelheiten mit, die sie nur durch ihre besondere Position im Umfeld von Coligny erfuhr. Der Anblick ihres eigenen Spiegelbilds war ihr seitdem unerträglich geworden.
    Eilig drängte sich Madeleine auf der Straße zwischen den Men schen hindurch. Helle Häuser, die von dem jahrhundertealten Reichtum der Stadt zeugten, säumten die Straßen. Schon im Mittelalter war La Rochelle durch seine einzigartige Lage eine wohl habende und florierende Handelsstadt gewesen. Madeleines Blick glitt an den prachtvollen Fassaden entlang, an denen der Wind und das Salz des Meerwassers Spuren der Verwitterung hinterlassen hatten. Ihr fiel auf, wie voll es in der Stadt geworden war. Täglich erreichten mehr Menschen La Rochelle. Die meisten hugenottischen Edelleute befanden sich inzwischen hier, und mit ihnen kamen ihr Gefolge, die Kaufleute und einfachen Protestanten. Vor wenigen Tagen war auch eine Frau eingetroffen, der alle die größte Ehrerbietung erwiesen – Jeanne d’Albret, die Königin von Navarre. Sie war die Schwägerin des Prinzen de Condé. Die überzeugte Protestantin, die an der Grenze zu Spanien über das kleine Reich Navarre herrschte und vom Papst als Ketzerin verurteilt worden war, hatte wie alle anderen hugenottischen Führer die Flucht ergriffen. Nur mit List und Kaltblütigkeit war es ihr gelungen, den Truppen des königlichen Gouverneurs im Süden noch zu entkommen.
    Mit Jeanne de Navarre hatte etwas Erhabenes und Majestätisches in La Rochelle Einzug gehalten. Die Königin, die um die vierzig sein musste, war von hochgewachsener hagerer Gestalt, aber in ihrer Haltung und dem entschlossenen Blick ihrer großen blaugrauen Augen lag so viel Würde, dass selbst Männer höchsten Ranges untertänig vor ihr den Kopf senkten, wie Madeleine mitbekommen hatte.
    Sie war der Königin das erste Mal im Haus des Admirals begegnet, als sie in Begleitung mehrerer Edelleute und zweier Hofdamen dessen Kabinett verließ. Unwillkürlich war sie in eine tiefe Verbeugung gesunken, als Jeanne de Navarre ihr in ihrem Kleid mit dem hohen steifen Kragen entgegenkam. Die Königin war vor Madeleine stehen geblieben.
    »Wie ist dein Name, mein Kind?«, fragte sie.
    »Madeleine Kolb«, hatte sie geantwortet.
    »Kolb? Ein deutscher Name, nicht wahr?«, hatte sie in einem Tonfall gesagt, der mehr eine Feststellung als eine Frage war, und Madeleine hatte das Gefühl gehabt, dass die Königin genau wusste, wer sie war – als hätte der Admiral mit ihr über sie gesprochen.
    Diese Begegnung und die Tatsache, dass La Rochelle eine Hochburg der Protestanten war, ließen Madeleine unweigerlich an Nicolas’ Drängen denken, zu konvertieren. Er sorgte sich um ihre Sicherheit, das spürte sie, und sie fühlte sich dadurch nur noch schlechter. Die Schuldgefühle, die sie quälten, waren schreck lich. Manchmal fuhr sie in der Nacht schweißgebadet und voller Panik aus dem Schlaf auf und fragte sich, wie sie sich jemals aus diesem Netz von Lügen und Unwahrheiten befreien sollte. Wenn Nicolas sie dann beruhigend in seine Arme zog, wusste sie nicht, was schlimmer war – die Vorstellung, dass ihm etwas passieren könnte oder dass er jemals erfuhr, was sie tat.
    Sie bemühte sich, den Gedanken daran mit aller Macht zu verdrängen, als sie auf den Krämerladen zuging, der sich am Ende der Straße befand. Madeleine öffnete die Tür und trat über die Schwelle.
    Monsieur Salisse, der gerade dabei war, mit einer Feder etwas in sein Buch zu schreiben, blickte auf. Wortlos stand er auf, und sie folgte ihm, wie die Male zuvor, in ein Hinterzimmer. Dort gab sie ihm den Brief und erhielt im Austausch ein kleines Päckchen für Doktor Bruno – eine Vorsichtsmaßnahme, falls jemand sie fragen sollte, was sie beim Krämer getan hatte. Als sie wenig später wieder auf die Straße hinaustrat, verspürte sie einen schalen Geschmack im Mund.

107
    E r wich zwischen die Häuser zurück, als ihre schlanke Gestalt mit schnellen Schritten zwischen den Leuten an ihm vorbeilief. Nachdenklich starrte San Lorenzo ihr hinterher. Es war das dritte Mal, dass sie den Krämer aufgesucht hatte. Sie kam stets mit einem Päckchen heraus, als hätte sie tatsächlich nur eine Besorgung gemacht, doch ihr Verhalten kam ihm dennoch verdächtig vor – wie überhaupt alles an

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