Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht

Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht

Titel: Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
Vom Netzwerk:
taumelten. Schwarze Punkte tanzten vor ihren Augen, und sie merkte, wie ihr die Sinne zu schwinden drohten. Nein, sie wollte nicht sterben. Nicht so , dachte sie, als hinter ihr ein Geräusch ertönte. Sie hörte Nicolas’ Stimme und etwas dumpf aufprallen. Dann fühlte sie, wie sich der Druck um ihren Hals plötzlich löste. Keuchend torkelte sie nach vorn und versuchte, Luft zu holen. Noch immer flimmerte es vor ihren Augen, und sie nahm nur langsam die Konturen der beiden kämpfenden Männer wahr, die auf dem Boden rangen. Der Diener hatte ein langes Messer gezogen, aber Nicolas wich ihm aus, rammte ihm das Knie in die Magengrube und schlug ihm die Waffe aus der Hand. Das Messer fiel zu Boden. Die beiden kämpften mit bloßen Händen weiter.
    In diesem Augenblick kam eine dritte Person in das Gemach. Madeleine, die sich noch immer kaum auf den Beinen halten konnte, hatte das Gefühl, in einen finsteren Albtraum geraten zu sein. Es war Doktor Bruno – er blickte zu den Kämpfenden und hob das Messer auf.
    Nicolas hatte inzwischen die Oberhand gewonnen.
    Der Chirurg hob die Waffe. Madeleine wollte entsetzt aufschreien, doch aus ihrer Kehle kam nur ein krächzender Laut, als sich das Messer auch schon wieder nach unten senkte. Man hörte ein unmenschliches Stöhnen – dann war es mit einem Mal still.
    »Verdammt, Ihr habt ihn umgebracht!« Es war Nicolas’ Stimme. Aufgebracht und außer Atem fuhr er zu dem Chirurgen herum.
    »Aber er wollte Euch töten. Ich wollte Euch nur helfen!«, erwiderte Doktor Bruno.
    »Töten? Ich hatte ihn so gut wie überwältigt. Habt Ihr das nicht gesehen? Jetzt haben wir keine Chance mehr herauszubekommen, wer ihn geschickt hat!«
    Geschickt? Madeleine starrte auf den Diener, der mit dem Messer im Rücken tot auf dem Boden lag. Ihr Hals schmerzte grauen haft. Sie merkte, dass ihr schlecht wurde, und sank auf einen der Schemel.
    Nicolas blickte besorgt zu ihr. »Doktor Bruno sollte sich deinen Hals einmal ansehen«, sagte er, und der Chirurg machte Anstalten, sich zu Madeleine zu beugen.
    »Untersteht Euch, mich auch nur anzufassen!«, sagte sie mit einer Stimme, die fremdartig heiser klang. Die Übelkeit wollte nicht weichen, und ausgerechnet in diesem Moment begriff sie den Grund für ihr Unwohlsein. Als wollte das Schicksal sie verhöhnen. Unpassender hätte es nicht kommen können!

116
    M anchmal überraschte es sie selbst, dass sie noch am Leben war. Sie fand, dass es eindeutig zu viele Tote und tragische Ereignisse in ihrem Leben gab. Seitdem sie vor nicht einmal zwei Jahren aus dem Kloster geflohen war, wurde ihr Lebensweg von Schrecklichkeiten begleitet. Anders konnte man es nicht ausdrücken. Nicht einmal ihre Liebe zu Nicolas konnte über diese Tatsache hinwegtäuschen. Madeleine unterdrückte ein Seufzen. Der Schock des letzten Erlebnisses saß tief. Der Angriff lag einige Wochen zurück, doch an ihrem Hals war noch immer ein blasser Striemen zu sehen, der von dem Bluterguss des Stricks stammte. Es verwunderte sie nicht sonderlich, dass man den Namen des Mannes, der sie hatte umbringen wollen, nicht herausbekommen hatte. Niemand wusste, wer der Unbekannte gewesen war und wie er sich die Dienerkleidung beschafft haben konnte.
    Nicolas bestand seitdem darauf, dass zwei Wachen vor ihrem Gemach postiert wurden und sie die Burg nur noch in Begleitung verließ. Er vermutete, genau wie sie, dass es sich bei dem Unbekannten um einen Handlanger der Guise handelte. Madeleines Verdacht ging jedoch noch etwas weiter – sie war sich sicher, dass der Mordversuch mit dem Tod des Krämers und ihren Briefen an den Geheimdienstchef in Zusammenhang stand.
    Doktor Bruno teilte ihre Annahme. »Monsieur Lebrun hegte schon lange die Vermutung, dass das erzkatholische Lager um die Guise bei den Hugenotten einen Spion eingeschleust hat!«, erklärte er unerwartet offen, als sie sich noch einmal über den Vorfall unterhielten.
    Der Verräter, von dem auch Nicolas gesprochen hatte, dachte Madeleine nervös. Sie begriff nur nicht, warum der ominöse Unbekannte nicht schon gleich in La Rochelle oder sogar bereits in Châtillon versucht hatte, sie umzubringen.
    »Wahrscheinlich, weil er erst durch Euren Brief weiß, was Ihr tut und welche Gefahr Ihr wirklich für ihn seid«, sagte der Chirurg nachdenklich.
    Madeleine nahm an, dass er recht hatte. Wer auch immer von den Hugenotten der Spion war, er wusste nun, dass sie für die Medici arbeitete. Davon musste sie ausgehen.
    Ihr Blick glitt aus dem

Weitere Kostenlose Bücher