Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht

Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht

Titel: Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
Vom Netzwerk:
stürzte sich von Neuem auf ihn. Er war in seiner Panik wie von Sinnen, da die Enge des Stalls es nicht zuließ, dass er an ihm vorbei nach draußen flüchten konnte. Nicolas wich ihm noch einmal aus und versuchte seine Attacken abzuwehren. Er hob den Degen, als der Mann sich wieder auf ihn stürzte. Seine Waffe glitt an etwas Hartem ab und bohrte sich tief in das Fleisch seines Gegners. Der Mann wich mit einem heiseren Laut zurück und wollte noch den Dolch heben, doch dann torkelte er – und brach im selben Moment vor seinen Augen zusammen. Er musste die Lunge getroffen haben, denn er war sofort tot. Nicolas blickte benommen auf den leblosen Körper zu seinen Füßen. Sein Atem ging noch immer schnell.
    Schließlich bückte er sich und griff nach der Tasche, die der Mann um die Schulter getragen hatte. Proviant für einen Tagesritt war darin, erkannte er – und zwei Briefe.
    Als er sie im Schein der Laterne gegen das Licht hielt und die Schrift auf einem der Schreiben erkannte, war er sich sicher, dass er sich täuschen musste. Seine Gesichtszüge erstarrten.

119
    O bwohl das Bett nach den Nächten im Zelt einen verheißungsvollen Schlaf versprach, war Madeleine noch wach. Sie wartete auf Nicolas’ Rückkehr, um mit ihm zu reden. Es würde in den nächsten Wochen keinen besseren Zeitpunkt dafür geben – hier hinter geschlossenen Wänden, wo sie allein und ganz für sich waren. Während sie ihr langes Haar kämmte, spürte sie, dass sie ein wenig nervös war. Sie war sich nicht sicher, wie Nicolas auf die Neuigkeit reagieren würde. Würde er sich auch freuen oder sich dadurch vielleicht nur belastet fühlen? Das Kind würde unweiger lich die Frage nach der Zukunft von ihnen beiden aufwerfen …
    Schnelle Schritte waren auf der Stiege und kurz darauf auf den knarrenden Dielen zu hören. Madeleine legte den Kamm zur Seite, als auch schon die Tür aufgerissen wurde.
    Voll erwartungsvoller Freude erhob sie sich vom Bettrand. »Nicolas!«
    Dann sah sie sein Gesicht. Es war von einer unbeherrschten Wut erfüllt, die ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ. Seine Halsschlagader pochte, als er auf sie zukam, und ihr Herz hämmerte.
    Er hat die Wahrheit erfahren, durchfuhr es sie. Ihre Augen blieben an seiner Hand hängen, in der er etwas hielt. Es war der Brief, den sie erst vor wenigen Stunden geschrieben hatte. Er kannte ihre Schrift. In Châtillon hatte sie manchmal etwas aufgeschrieben, das er für sie besorgt hatte. Ein schaler Geschmack breitete sich in ihrem Mund aus. Sie wollte etwas sagen, doch sie brachte kein Wort über die Lippen.
    Im selben Augenblick hatte er sie auch schon am Arm gegriffen und aufs Bett geschleudert. Sie glaubte, er würde sie schlagen, doch er blieb nur schwer atmend vor ihr stehen. »Du hast uns verraten, die ganze Zeit? Du hast unser Vertrauen missbraucht, nur um uns zu bespitzeln?« Er beugte sich drohend zu ihr.
    Sie blickte zu ihm hoch. Angst ergriff sie. Noch nie hatte sie ihn so erlebt. »Es ist nicht so, wie du glaubst. Es tut mir leid. Ich …« Sie brach ab, denn sie hörte selbst, wie lächerlich sich jeder Versuch einer Erklärung anhörte.
    Seine Augen brannten vor Wut. »Für wen arbeitest du – für die Guise?«
    »Nein!« Sie schaute ihn voller Schrecken an, als sie begriff, was er dachte.
    »Lüg mich nicht an!« Er griff sie erneut grob am Arm und zog sie zu sich hoch. »Für wen ist dieser Brief bestimmt?« Der Druck an ihrem Arm verstärkte sich, und sie unterdrückte einen Schmerzensschrei. Tränen strömten über ihre Wangen.
    »Für den Geheimdienstchef Lebrun«, antwortete sie ihm schließlich.
    Eine Sekunde lang starrte er sie fassungslos an. »Lebrun? Der Geheimdienstchef der Medici?«
    Sie nickte unter Tränen. »Man hat mich dazu gezwungen! Du musst mir glauben«, flehte sie ihn an. »Ich habe das alles nie freiwillig gemacht. Sie wussten von meinen Visionen, und sie haben mich erpresst, mir gedroht, mich als Hexe zu verraten und den Guise auszuliefern … Ich habe mich nicht getraut, es dir zu sagen.« Sie brach ab, als sie seinen kalten Blick bemerkte.
    »Erspar mir deine Lügen. Ich glaube dir nicht«, fuhr er sie ausdruckslos an. »Du wirst jetzt meine Fragen beantworten, und ich rate dir, diesmal bei der Wahrheit zu bleiben, sonst wird dir das schlecht bekommen«, sagte er so drohend, dass sie plötzlich das Gefühl hatte, ein Fremder würde vor ihr stehen.
    »Ich will den genauen Code für die Wörter in deinem Brief. Steht Kraniche für

Weitere Kostenlose Bücher