Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht
zwölftausend Fußsoldaten und dreitausend Reiter zugesichert. Nach Abschluss der Hochzeitsfeierlichkeiten würde der Admiral persönlich aufbrechen, um diese Armee in die Niederlande zu geleiten. Und er würde an seiner Seite sein. Nicolas wandte sich vom Fenster ab und griff erneut nach dem Weinkrug.
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S ie erkannte an dem Blick der beiden bewaffneten Hugenotten, die ihr in der Halle entgegenkamen, dass ihr Verhalten befremdlich wirkte. Doch es war Madeleine egal. Sie stürzte mit gerafften Röcken an ihnen vorbei. Es hatte sie all ihre Überredungskünste gekostet, aus der Torwache herauszubekommen, wo sich sein Gemach befand. Nur ihre Tränen hatten den Mann schließlich überzeugt. Sie lief die Treppe hoch und weiter den Flur entlang. Colignys Haus befand sich in der Rue de Béthisy, und sie war zu Recht davon ausgegangen, dass Nicolas dort wohnen würde. Am Ende des Flurs, hatte die Wache gesagt – sie riss die Tür auf.
Er fuhr herum, und sie sah, wie seine Hand instinktiv zu seiner Hüfte schnellte, obwohl er seine Waffen bereits abgelegt hatte. Genauso wie sein Wams. Er stand mit geöffnetem Hemd im Raum und starrte sie an, als würde er eine Erscheinung erblicken. Sie sah den leeren Weinkrug, der auf dem Tisch stand.
»Was willst du?«, fragte er schließlich.
»Ich … ich habe mich geirrt, Nicolas!«, stieß sie aufgelöst hervor, und alles sprudelte mit einem Mal aus ihr heraus. »Du bist kein Verräter. Ich liebe dich! Aber ich habe dich in Brèves gesehen auf dem Hof, mit dem katholischen Offizier und der Frau, und ich dachte …« Sie brach ab, weil sie noch immer außer Atem war und Luft holen musste, als er plötzlich vor ihr stand.
Seine Augen glänzten dunkel, fast schwarz. Ohne ein weiteres Wort zog er sie mit einem Ruck an sich und küsste sie, während er mit dem Fuß die Tür zustieß.
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E s war das erste und letzte Mal zugleich, dass sie sich persönlich treffen würden. Ein leichtes Lächeln huschte über San Lorenzos Lippen, als er den erstaunten Ausdruck im Gesicht des Herzogs d’Aumale sah, denn sie waren sich bereits etliche Male als Gegner im Kampf begegnet, ohne dass dieser ahnte, wer er war.
»Ich muss zugeben, mit Euch hätte ich nicht gerechnet«, sagte Aumale wie zur Bestätigung und neigte ebenso wie sein Neffe den Kopf. In seinen Worten schwangen Respekt und Hochachtung zugleich. Philippe de Ronsard lächelte. Der spanische Botschafter, der Herzog d’Alava, der inzwischen von Madrid aus die Fäden in der Hand hielt, hatte seine Identität in all den Jahren tatsächlich hervorragend geheim gehalten, doch nun bestand kein Grund mehr dafür. Wenn alles nach Plan lief, würde Ronsard schon in wenigen Tagen nach Spanien zurückkehren – endlich. Nur eine Tat galt es noch zu vollbringen – einen Auftrag, der für Spanien von unermesslichem Wert war!
Coligny musste sterben. Schon damals hätte dies geschehen sollen, doch er war dem Anschlag mit unsagbarem Glück entkommen. Der spanische König, Philipp II., war außer sich über das, was in Frankreich geschah. Der Frieden mit den Ketzern und die Vermählung einer katholischen Prinzessin mit einem Hugenotten waren nur der Anfang gewesen. Längst war Philipp II. zu Ohren gedrungen, dass der französische König Colignys Absichten insgeheim guthieß, seinen Glaubensbrüdern in den Niederlanden zu Hilfe zu eilen. Niemals durfte es dazu kommen, und nur mit einem Mittel konnte verhindert werden, dass die Truppenunterstützung, die der Admiral dem Prinzen d’Orange zu bringen gedachte, dort jemals ankam. Nie wieder würde sich ihnen eine solche Möglichkeit wie hier in Paris bieten.
Er wandte sich zu Aumale und dem jungen Guise. »Sollte es erneut mit dem Teufel zugehen und der erste Teil unseres Planes nicht erfolgreich sein, werden wir Eure Hilfe in Anspruch nehmen müssen!«, sagte Ronsard.
Aumale nickte. »Es sind alle Vorbereitungen getroffen. Wir haben während der letzten Monate unsere gesamte Anhängerschaft über die Stadt verteilt und an allen strategisch wichtigen Punkten ausreichend Waffen und Kettenhemden gelagert«, erklärte er.
Ronsard nickte. »Gut, dann bleibt uns nichts, als um Gottes Beistand zu bitten!«
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S ie spürte im Schlaf, dass er sie beobachtete, und schlug die Augen auf. Draußen graute der Morgen, und er lag mit aufgestütztem Arm neben ihr. Sein Finger strich zärtlich über ihre nackte Schulter.
»Ich will, dass du meine Frau wirst!«, sagte er ernst.
Überrascht blickte sie ihn an,
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