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Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht

Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht

Titel: Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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über den Dächern der Stadt.
    Von irgendwoher war ein leiser Knall zu hören – wie ein Schuss. Irritiert wanderten ihre Augen die Straße entlang, doch sie konnte nicht ergründen, woher das Geräusch kam.
    Die mächtigen Türme des Louvre zeigten sich vor ihr, und kurz schien es, als würden die Umrisse klarer und deutlicher als sonst zu sehen sein. Ein Pferd galoppierte mit laut klapperndem Hufschlag an ihr vorbei.
    Sie hatte fast die Straßenecke erreicht, als sich von der anderen Straße, vom Palast her, eine Eskorte näherte. Es waren Nicolas und der Admiral, die sich mit der Leibgarde bereits auf dem Rückweg vom Kronrat befanden, wie sie erfreut feststellte.
    Sie beschleunigte ihren Schritt.
    In diesem Moment vernahm sie erneut den Knall eines Schusses – so laut, dass sie zusammenzuckte. Sie wurde blass und blieb abrupt stehen. Das Bild eines Männerrückens im schwarzen Um hang blitzte vor ihren Augen auf. Noch einmal hörte sie den Schuss. Ihr Blick glitt zu den Häusern. Doch es war niemand zu sehen. Sie begann zu zittern. Eine Hand zog den Abzug einer Waffe. Nein!
    Entsetzt blickte Madeleine zu der Eskorte, die sich anschickte, um die Ecke zu biegen, und direkt auf sie zukam. Nicolas, der etwas hinter Coligny lief, schaute besorgt zu ihr.
    Eine Waffe fiel zu Boden. Sie sah, wie ein Mann auf ein Pferd sprang. Sein Umhang wehte durch die Luft. O Gott, nein! Bitte nicht! Schweiß trat ihr auf die Stirn. Blut sickerte durch ein Hemd. Nicolas beugte sich über eine Gestalt, die leblos auf der Straße lag … Coligny! Madeleines Kopf fuhr zu dem Haus herum. Von dort würde der Schuss kommen, wusste sie im selben Augenblick und stürzte auch schon an der verdutzten Leibwache vorbei auf den Admiral zu.
    »Monsieur de Coligny!« Sie wollte ihn zur Seite reißen, doch seine kräftige Gestalt war überraschend standfest und leistete Widerstand. Er fuhr zu ihr herum und hob abwehrend den Arm. »Was soll das …?« Nicolas, der sie die ganze Zeit beobachtet hatte, verstand und stürzte auf den Admiral zu. Da ertönte schon ein Schuss. Dann überschlugen sich die Ereignisse. Coligny schrie auf und taumelte. Nicolas hielt ihn, bevor er zu Boden fallen konnte, und rief den Leibgarden mit lauter Stimme Befehle zu. Die Männer, die ihre Waffen gezogen hatten, liefen eilig die Straße entlang und hielten suchend nach dem Täter Ausschau. Doch es war niemand zu sehen.
    »Er hat von dort aus dem Haus geschossen!«, stieß der Admiral, der sich an Nicolas klammerte, gepresst hervor und deutete mit dem Kinn zu einem der Fenster, an dem man tatsächlich leichten Rauch stehen sah. Dann drohte Coligny nach unten zu sinken. Nicolas versuchte seine kräftige Gestalt zu halten. Eine Leibgarde sprang herbei, um ihn von der anderen Seite zu stützen. Coligny stöhnte. Vorsichtig ließen sie den Verletzten auf den Boden nieder. Blut war auf seinem Hemd zu sehen.
    Voller Grauen blickte Madeleine zu dem Admiral. Sie hatte es nicht verhindert! Dann sah sie zu ihrer Erleichterung, dass nicht seine Brust, sondern nur seine Hand und sein Arm getroffen worden waren.
    »Wir müssen ihn hier wegbringen, sofort!«, befahl Nicolas. Sein Gesicht war leichenblass, als die Leibgarden den Verletzten vom Boden hoben.
    Madeleine war sofort zum Louvre weitergerannt, um Ambroise Paré zu holen. Der königliche Chirurg packte hastig seine Sachen. »Ein Anschlag? Wie ernst ist es?«, fragte er bestürzt, als er im Stechschritt neben ihr hereilte.
    »Seine rechte Hand wurde getroffen und sein linker Arm. Er hat furchtbare Schmerzen«, erklärte Madeleine aufgewühlt.
    »Bei Gott!«, murmelte Paré. Sie hasteten an den Menschen vorbei, die sich auf der Straße gesammelt hatten. Die Nachricht von dem Anschlag hatte sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen.
    Coligny lag mit fahlem Gesicht auf dem Bett, als sie ka men. Sein Atem ging flach. Getreue und Edelleute drängten mit ernster Miene ins Gemach. Man hörte aufgebrachte, zornige Stimmen.
    – »Das waren die Guise!«
    – »Wir sollten sie sofort erledigen!«
    – »Ohne die Zustimmung des Königs hätten sie es nicht gewagt …«
    Eilig machten die Männer Paré Platz. Der Chirurg entfernte die Stofflappen, mit denen man versucht hatte, die Blutung zu stillen, und untersuchte vorsichtig die Wunden. Entsetzt sah Madeleine, dass der rechte Zeigefinger vollständig zerfetzt war.
    Parés Miene war ernst. »Es tut mir leid, Admiral. Ich werde Euch den Finger abnehmen müssen. Und an dem linken Arm muss die

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