Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht
denn es hatte fordernd, fast wie ein Befehl geklungen. »Fragt man das nicht gewöhnlich die Dame seines Herzens?«, erwiderte sie und richtete sich verschlafen auf.
Er musterte sie. Ein unsicherer Ausdruck glitt plötzlich über sein Gesicht. »Du willst nicht?«
Sie musste lächeln. »Doch! Nichts würde mich glücklicher machen«, sagte sie nach einer kurzen Pause. Sie zögerte, bevor sie weitersprach: »Ich dachte nur immer … es käme nicht infrage.«
Verständnislos hob er die Brauen.
»Du bist ein Edelmann und von hoher Geburt, Nicolas – ich bin von einfachem Stand!«, erklärte sie leise.
Er lachte. »Du glaubst, das hätte irgendeine Bedeutung für mich?« Er küsste sie, und sie genoss für einen Augenblick die Geborgenheit seiner Umarmung. Draußen ging gerade die Sonne auf, und es versprach erneut drückend und heiß zu werden. Vier Tage Hochzeitsfeierlichkeiten lagen hinter ihnen – Bankette, Turniere und so viele Bälle, dass Madeleine sich kaum noch an die Einzelheiten einer jeden der opulenten und prachtvollen Feiern erinnern konnte. Es waren einzigartige, rauschhafte Feste gewesen, und doch hatte sie nur dem Augenblick entgegengefiebert, in dem sie endlich wieder mit Nicolas allein war. Seit jenem Abend, als sie voller Verzweiflung zu ihm gekommen war, hatte sich alles zwischen ihnen verändert. Spät in der Nacht, als sie in seinen Armen lag, hatten sie sich ausgesprochen und einander alles erzählt. Madeleine erfuhr, dass die Frau, die ihn im Hof von Brèves umarmt hatte, seine Schwester Gabrielle gewesen war. Ihr Gemahl, der Graf de Monbrun, ein überzeugter Katholik, war ein Oberbefehlshaber im Heer des Herzogs d’Aumale, erklärte ihr Nicolas. Es sei sein Glück gewesen, dass sich seine Schwester gerade einige Tage in Brèves befunden und der Herzog d’Aumale Hunderte Meilen weiter östlich geweilt habe. »Mein Schwager hat mich eiligst freigelassen und mir geraten, mich bis zum Kriegsende nicht mehr in seiner Nähe blicken zu lassen. Glaub mir, ich fühlte mich, als hätte ich einen Verrat begangen, um auf diese Weise freizukommen!«, hatte Nicolas düster bemerkt, und Madeleine war sich mit ihrer Eifersucht plötzlich beinah ein wenig albern vorgekommen. Er erzählte ihr auch, dass er sie vor den katholischen Soldaten absichtlich so kalt als Verräterin bezeichnet hätte, in der Hoffnung, sie dadurch zu schützen.
Madeleine dagegen hatte Nicolas noch in der Nacht von Ronsard berichtet.
Er hörte ihr mit finsterer Miene zu. »Ich hatte schon länger den Verdacht. Aber ich konnte es einfach nicht glauben«, erwiderte er. Am nächsten Tag informierte er den Admiral. Man wollte Ronsard unauffällig ergreifen, doch von ihm fehlte jede Spur. Nicht einmal auf den Hochzeitsfeierlichkeiten war er noch einmal aufgetaucht. Madeleine hatte kurzzeitig überlegt, die Medici über seine wahre Identität in Kenntnis zu setzen, doch Nicolas hatte sie davon abgehalten. »Nein, das ist unsere Angelegenheit«, sagte er, und sie verstand, was er meinte.
Er löste sich aus ihren Armen. Als er sich aus dem Bett erhob, bemerkte sie erneut, wie angespannt er war. Er würde den Admiral am Morgen zum Kronrat begleiten, der heute das erste Mal wieder zusammenkam. »Ich möchte Paris am Nachmittag verlassen«, sagte Nicolas, als er sich wenig später ankleidete. Sie nickte.
So rauschend die Feste gewesen waren, keines hatte über die angespannte Stimmung in der Stadt hinwegtäuschen können. Auf den Straßen und in den Gasthöfen waren mehrmals einige Protestanten und Katholiken aufeinander losgegangen. Zum Glück war nichts Schwerwiegendes passiert, doch die Atmosphäre in Paris glich einem brodelnden Pulverfass, wie Madeleine fand. Sie war genauso froh wie Nicolas, bald von hier fortzugehen.
140
W ährend Nicolas mit dem Admiral beim Kronrat war, packte Madeleine ihre wenigen Sachen zusammen. Es war elf Uhr, als sie sich selbst noch einmal auf den Weg zum Louvre machte, um sich von Rémi und Monsieur Paré zu verabschieden. Sie war unruhig, merkte sie unterwegs. Schon seit dem Morgen fühlte sie sich so. Es gefiel ihr nicht, dass Ronsard verschwunden war – und auch nicht, dass die Guise hier waren. Vielleicht war es auch nur die Angst, dass jetzt, da sie mit Nicolas wieder zusammen war, irgendetwas passieren könnte. Sie würden nach La Rochelle gehen, hatten sie beschlossen.
Sie strich sich eine Strähne aus dem Gesicht, während sie in die Rue des Poulies einbog. Die Luft hing drückend und schwül
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