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Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht

Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht

Titel: Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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Sie sprach noch immer leise und drehte sich mehrfach um, als fürchtete sie, jemand könnte sie beobachten.
    Er musterte sie mit neuem Interesse und erinnerte sich jetzt, sie bei seinem ersten Besuch schon einmal gesehen zu haben. Sie war die Oberin des Klosters.
    Er nickte knapp. »Ist Euch bekannt, wo sie ist?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein, aber …« Sie zögerte, bevor sie fortfuhr: »Es gibt etwas, das Ihr über sie wissen solltet.«
    »Und zwar?«
    »Dieses Mädchen … sie ist des Teufels!«, stieß die Nonne mit zusammengepressten Lippen hervor.
    Er schwieg. Enttäuscht, dass er dieser Frau überhaupt seine Aufmerksamkeit geschenkt hatte, wollte er weitergehen. Das Letzte, was er hören wollte, waren irgendwelche abergläubischen Geschichten vom bösen Teufel.
    »Ihr glaubt mir nicht! Aber es ist die Wahrheit«, stieß die Oberin mit glühenden Augen hervor und wich zu seinem Erstaunen nicht zur Seite. »Vor zwei Wochen hat das Mädchen dafür ge sorgt, dass ein Ziegelstein vom Dach eine andere Klosterschülerin verletzt hat. Ich sage Euch, sie trägt das Böse in sich. Schon bei ihrer Mutter habe ich das gespürt – und bei ihr ist es genauso!«
    »Ihre Mutter?« Er zog die Brauen über seinen schrägen Augen hoch, aber bevor er sie fragen konnte, was sie damit meinte, wurden sie unterbrochen. Der Leutnant seiner Männer war mit eiligen Schritten durch die Halle auf ihn zugekommen.
    »Verzeiht, Herzog«, sagte er. »Da ist etwas, das Ihr sehen solltet. Ich glaube, wir wissen jetzt, wie das Mädchen verschwinden konnte. Wir haben bei den Nebengebäuden den Eingang zu einem unterirdischen Gang entdeckt …«

TEIL II
    Die Flucht

28
    E twas kitzelte sie an der Nase, erst sanft, dann stärker, und wanderte weiter über ihr Gesicht zu ihren Wangen, sodass es selbst im Schlaf nicht länger zu ignorieren war. Sie fuhr mit einem Ruck erschrocken hoch und prallte im selben Augenblick auch schon mit ihrer Stirn gegen etwas Hartes. Ein empörter Aufschrei war zu hören, und Madeleine sah gerade noch, wie vor ihr ein Junge mit kurzen Beinen nach hinten fiel und sich überschlug.
    »Teufel noch mal, du hast ja einen Schädel wie aus Stein«, brummte er, als er wieder auf die Beine kam. Seine Stimme klang ungewöhnlich tief und männlich. Verärgert rieb er sich den schmerzenden Kopf und drehte sich zu ihr.
    Madeleine starrte die kleine Gestalt, die das Gesicht eines Dreißigjährigen hatte, ungläubig an. Es war kein Junge, sondern ein Zwerg, der da vor ihr stand!
    Einen Moment lang fühlte sie sich in Versuchung, ihre Augen zu reiben, ob sie noch träumte. Als sie sich am späten Nachmittag hier am Rande einer Baumgruppe auf das abschüssige Feld ins tiefe Gras gelegt hatte, um eine Pause auf ihrer Flucht einzulegen, war sie mutterseelenallein gewesen. Davon konnte nun jedoch nicht mehr die Rede sein. Den Abhang hinunter war in einiger Entfernung eine Truppe von Menschen mit mehreren Fuhrwagen und Pferden zu sehen, die dabei waren, ein Lager auf zuschlagen. Dabei hatte Madeleine mit Bedacht nicht die Straße Richtung Sens genommen, sondern war querfeldein gelaufen, um niemandem zu begegnen. Doch jetzt hatte sie in ihrer Erschöpfung so tief geschlafen, dass sie die Gruppe nicht einmal hatte kommen hören.
    »Was ist? Bist du stumm, oder hast du noch nie einen Zwerg gesehen?«, fragte die Gestalt vor ihr unwirsch. Der Mann hatte herausfordernd seine Hände in die Hüften gestützt und musterte sie abschätzend. Dabei zog er die Stirn kraus, als ob er an ihren geistigen Qualitäten zweifelte. Es lag fraglos etwas Unverschämtes in seiner Haltung. Sein ebenmäßiges Gesicht umrahmte eine Mähne rötlich dunkelbrauner Locken, die ihm bis zur Schulter reichten und nicht recht zu seiner abgerissenen roten Pluderhose und dem angeschmuddelten Hemd passten, das ehemals vermutlich einmal weiß gewesen war, inzwischen jedoch einen unschönen gelblichen Ton angenommen hatte. Madeleine sah, dass er noch immer den langen Grashalm in der Hand hielt, mit dem er sie gekitzelt hatte. »Du hast mich zu Tode erschreckt!«, fuhr sie ihn aufgebracht an, als sie endlich begriff, dass sie keineswegs träumte.
    Er hob die rechte Augenbraue. »Oh, Mademoiselle sind zartbesaitet!«, erwiderte er sarkastisch. »Sei froh, dass dich nur mein Grashalm gekitzelt hat«, sagte er dann. »Das ist mehr als eine Einladung, in dieser Einsamkeit so schlafend dazuliegen! Was macht ein junges Mädchen wie du hier überhaupt so allein?«
    »Ich wüsste

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