Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht
gleichzeitig mit ihm den Kopf in Richtung Waldweg.
Ronsard legte den Finger auf den Mund. Der Hufschlag von Pferden war zu hören.
»Runter!«, zischte er, und eh Madeleine es sich versah, hatte er sie erneut mit sich zu Boden gerissen. Er hielt sie fest, als befürchtete er, sie würde sich seiner Anordnung widersetzen. Madeleines Herz hämmerte – die Pferde kamen näher.
Sie sah, dass der Blick von Ronsard besorgt zu seinem Wallach gewandert war. Doch das Tier schien die Gefahr genau wie sie zu spüren und verharrte bewegungslos im Dickicht. Dann merkte sie, wie sich die Muskulatur in Ronsards Arm anspannte – die beiden Reiter waren auf dem Weg stehen geblieben und sprachen leise miteinander.
Panik ergriff sie. Sie dachte daran, dass Ronsard mit seinem Pferd hinter ihr durchs Dickicht gebrochen war und man diese Spuren vermutlich deutlich sehen konnte. Bestimmt würden die Männer die niedergetrampelten Zweige und Äste entdecken, schoss es ihr durch den Kopf.
Ronsards Hand ließ sie los und glitt unter seinen Umhang zu seinem Degen. Sie schaute ihn entsetzt an.
Er legte erneut mit einem warnenden Blick den Finger auf den Mund.
Das Knacken von Ästen war zu hören. Sie kamen! Schemenhaft konnte man durch die Zweige die Beine zweier Gestalten erkennen und lauter werdende Stimmen vernehmen.
»Ich sag dir, das war sie nicht. Guck dir an, wie die Äste gebrochen sind. Das war ein Tier, und zwar ein kräftiges. Und sie hat noch nicht mal ein Pferd gehabt.«
»Du hast recht. Das sieht nach irgendeinem Wildschwein aus! … Na, auf jeden Fall wissen wir jetzt, dass die Kleine auf dem Weg nach Orléans ist!«, sagte der andere. Einen Moment lang war es still – sie schienen sich noch einmal umzusehen –, dann entfernten sich ihre Schritte wieder.
Madeleine zitterte.
Wenig später konnte man den Hufschlag ihrer Pferde hören.
Ronsard und sie verharrten kurz in ihrer Position, dann half er ihr auf die Beine. Er deutete zu seinem Pferd. »Komm, wir sollten sehen, dass wir hier wegkommen«, sagte er leise.
Einen Augenblick lang zögerte sie.
»Ich werde dich sicher nach Orléans, nach La Bonnée, bringen«, erklärte er.
Sie sah ihn an, und erst in diesem Moment begriff sie, dass er der Mann sein musste, der in der Nacht im Kloster gewe sen war.
34
M it nachdenklicher Miene blickte Catherine de Medici in den großen Spiegel, der über ihrem Toilettentisch hing. Er war in einen kunstvoll geschliffenen silbernen Rahmen gefasst, und das Glas war leicht gewölbt, sodass das gespiegelte Bild eine Tiefe erhielt, als würde man in eine andere Welt blicken. Sie schätzte diesen Anblick – er schenkte ihr eine innere Ruhe und bot ihr die Möglichkeit zur Reflexion. Ihr eigenes Gesicht erschien ihr in diesen Momenten wie das einer Fremden und ließ sie dadurch Abstand zu sich selbst und zu ihrem Leben finden.
Auf herkömmliche Weise blickte sie dagegen schon lange nicht mehr in einen Spiegel. Sie war alt, das wusste sie auch so. In ihrem fülligen Gesicht zeichneten sich die Spuren ihres Lebens in deutlichen Falten ab. In diesem Frühjahr war sie achtundvierzig Jahre alt geworden, eine Frau jenseits ihrer Fruchtbarkeit. Aus ihrer Sicht brachte das Alter jedoch durchaus auch eine gewisse Erleichterung mit sich. Die Macht hatte sie schon immer stärker fasziniert als der eigene Körper. Sie war nie schön gewesen. In jungen Jahren, als sie gerade frisch vermählt worden war und ihrem Gemahl gefallen wollte, hatte sie oft darunter gelitten. Verzweifelt hatte sie versucht, wenigstens mit der Attraktivität ihrer Jugend zu bestechen, aber schon damals war sie intelligent genug gewesen, um zu wissen, dass sie diesen Kampf nicht gewinnen konnte. Welch eine Schmach, dass die Mätresse ihres Gemahls, die selbst die Dichter als eine der Schönsten des Landes gerühmt hatten, ausgerechnet zwanzig Jahre älter gewesen war und zu den seltenen Frauen gehörte, die bis zu ihrem Tode nichts von ihrer Schönheit verloren. Ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen. Wie belanglos das heute alles für sie war. Diane de Poi tiers war tot! Im letzten Jahr war sie ihrem Gemahl Henri gefolgt, der bereits vor acht Jahren verstorben war. Catherine de Medici erinnerte sich an den schrecklichen Tag seines Todes. Sie hatte ihren Gemahl angefleht, nicht an den Zweikämpfen des Turnierfests teilzunehmen, da man ihr sein Sterben dabei vorhergesagt hatte, doch Henri ließ sich nicht beirren. Voller Ohnmacht hatte sie von der Tribüne aus mit
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