Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht
d’Aumale, bis ins Mark getroffen haben.
Sie ging auf ihn zu. »Kardinal. Wie schön, Euch zu sehen!«, sagte sie mit einem Lächeln.
»Euer Majestät!« Er verbeugte sich und wirkte merklich angespannt.
Sie schlug ihren Fächer auf, dessen Griff mit funkelnden Juwelen besetzt war.
»Stellt Euch vor, was man sich erzählt!«, begann sie, während ihre Augen die Tanzenden streiften. »Angeblich hat man Monsieur de Coligny schon wieder nach dem Leben getrachtet! Es heißt, er sei nur knapp einem Anschlag entgangen.«
»Wirklich?« Der Kardinal lächelte glatt, doch hinter seiner Fassade spürte sie die Unruhe.
Sie nickte. »Ja, aber anscheinend hält nicht nur der König seine schützende Hand über die Protestanten, sondern der Allmächtige selbst, denn der Admiral wurde rechtzeitig gewarnt!« Sie schenkte ihm ein kühles Lächeln. »Ich denke, das wird Euch gleichermaßen froh stimmen wie mich, nicht wahr?«
»Selbstverständlich, Majestät«, erwiderte er mit beherrschter Miene. Sie nickte ihm zu, und während sie zurückschlenderte, dachte sie darüber nach, dass die Verhinderung dieses Anschlags der eigentlich faszinierende Part der Geschichte war. Die Hugenotten waren gewarnt worden. Von einem Mädchen, genauer gesagt, einer Klosterschülerin. Ihr Name sei Madeleine Kolb, hatte Lebrun berichtet. Sie sah noch immer den nachdenklichen Gesichtsausdruck ihres Geheimdienstchefs vor sich, als er ihr das erzählt hatte.
»Und?«, hatte sie erwidert, da der Name des Mädchens ihr nichts sagte.
»Sie ist Euch nicht unbekannt. Ihr seid Ihr schon einmal begegnet«, hatte Lebrun darauf erläutert. »Vor einigen Jahren …«
35
O bwohl sie seit ihrer Flucht von den Gauklern nichts gegessen hatte, wandte Madeleine den Kopf ab, als sie sah, wie Ronsard das Messer in das Fleisch stieß und dem Hasen das Fell abzuziehen begann.
Sie zog den Stoff des Umhangs, den er ihr gegeben hatte, enger um die Schultern. Die Dunkelheit war längst hereingebrochen, und sie befanden sich noch immer mitten im Wald. Nur das Feuer, an dem sie saßen, spendete ein flackerndes Licht und ließ die Bäume um sie herum gespenstische Formen annehmen.
Sie waren den ganzen Tag unterwegs gewesen. Ronsard hatte ihr erklärt, dass sie einen Umweg durch die Wälder nehmen müssten, da die Straßen und Wege überall von den Männern der Guise kontrolliert wurden. Eine Nachricht, die Madeleine nicht neu war. Sie hatte nur stumm genickt. Über Stunden waren sie zusammen auf seinem Pferd geritten, ohne viele Worte zu verlieren. Sie war starr vor Angst gewesen – zu ihrer Furcht vor den Guise kam ihr Unbehagen hinzu, auf dem Rücken eines Pferdes sitzen zu müssen. Sie war diese Art der Fortbewegung nicht gewöhnt. Ihr Leben lang war sie fast nur zu Fuß gegangen.
Am Abend hatte es schließlich geregnet, und sie waren völlig durchnässt worden, sodass sie eine Rast einlegten. Etwas zu essen und ein paar Stunden Schlaf werden uns guttun , hatte er gesagt.
Fröstelnd hielt Madeleine jetzt die Hände vor die wärmenden Flammen. Es war schwierig gewesen, überhaupt einige trockene Zweige zu finden.
Sie konnte hören, wie Ronsard die Eingeweide des Hasen entfernte und ins Feuer warf. Das zischende Geräusch ließ sie zusammenzucken.
Er wandte den Kopf zu ihr. »Hast du noch nie gesehen, wie man ein Tier ausnimmt?«, fragte er.
»Doch!«, erwiderte sie und verschwieg, dass etwas an der Art, wie er es tat, anders war. Etwas Unbeteiligtes, beinah Kaltblütiges lag auf seinem Gesicht, während er im Schein des Feuers das rohe Fleisch des Hasen von seinen Knochen trennte. Madeleine sah ihn unweigerlich wieder vor sich, wie er genau mit diesem Ausdruck auch im Wirtshaus gekämpft und einen der Männer des Herzogs getötet hatte. Auch da hatte er kühl und erschreckend gefühllos gewirkt, und ihr wurde bewusst, dass der Tod vermutlich zu seinem Leben gehörte und für jemanden wie ihn vollkommen alltäglich war.
Die Erinnerung an die Ereignisse im L’Auberge ließ sie wieder über ihre eigene ungewisse Zukunft nachdenken.
»Geht es dir gut?«, fragte er. Er musterte sie.
Madeleine nickte stumm. Sie hatte ihre durchnässte Haube vom Kopf gezogen und nahm wahr, wie seine Augen sie streiften und etwas in ihnen aufblitzte, als ihr langes Haar offen nach unten über ihre Schultern fiel. Sein Blick verunsicherte sie, wie überhaupt alles an ihm – angefangen von der Selbstverständlichkeit, mit der er sie zu sich aufs Pferd gehoben und über Stunden mit
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