Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht
ansehen müssen, wie die Lanze seines Gegners im Kampf zerbrach und ein Splitter durch den Helm des Königs drang, der sich bis tief in sein Auge bohrte. Die Ärzte taten ihr Bestes, doch vergeblich – Henri starb, und die unheilvol le Prophezeiung der Astrologen erfüllte sich. Bis heute trauerte sie um ihn, denn sie hatte ihn tatsächlich geliebt. Es war nur ein schwacher Trost, dass seine Mätresse, Diane de Poitiers, mit seinem Tod endlich jede Bedeutung verlor. Nichts von ihr und ihrer Verbindung mit dem König würde bleiben.
Sie dagegen hatte Henri Kinder geschenkt. Ihr Blut, das der Medicis, hatte sich mit dem seinen verbunden und würde von nun an in den Adern der zukünftigen Könige Frankreichs fließen!
Nachdenklich rückte sie das Perlendiadem auf ihrer schwarzen Seidenhaube zurecht. Der Gedanke an ihre Kinder riss sie wieder zurück in die Gegenwart. Ihr ging erneut durch den Kopf, was der Geheimdienstchef, Pierre Lebrun, ihr heute Vormittag erzählt hatte. Das ungute Gefühl, das sich ihrer seitdem bemächtigt hatte, wollte nicht von ihr weichen.
Man hatte versucht, einen Anschlag auf den Admiral und seine Leute auszuüben. Das Beunruhigende daran war nicht, dass die Guise das Urteil des Königs nicht respektierten – das war außerhalb von Paris zu erwarten gewesen –, sondern dass sie überhaupt darüber hatten Kenntnis erlangen können, wo sich Coligny aufhielt. Eine steile Falte zeigte sich zwischen ihren Brauen. Der Admiral reiste nur unter größter Geheimhaltung, und der Anschlag musste im Voraus geplant worden sein, was bedeutete, dass jemand die Guise über Colignys genaue Reisestationen informiert haben musste.
Es musste also doch einen Spion bei den Hugenotten geben! Sie dachte an den Agenten, den man im letzten Jahr getötet hatte, und seine Vermutungen bezüglich der Spanier. Als wenn die politische Lage nicht schon schwierig genug wäre, dachte sie.
»Euer Majestät?«
Ihre Zofe blickte sie fragend an. Sie nickte und ließ sich von ihr einen Schal um die Schultern legen. Auf dem Ball wartete man bereits auf sie.
In Begleitung ihrer Hofdamen und ihrer Zwergin begab sie sich nach unten zum Festsaal. Der Klang der Flöten und Lautenspieler, den man bereits vor den Türen hören konnte, verbesserte ihre Stimmung. Schon immer hatte sie die Musik geliebt.
Die Höflinge sanken in eine tiefe Verbeugung, als sie über die Schwelle trat. Sie schritt auf den Thron zu und neigte den Kopf vor ihrem Sohn, dem König. Charles hätte diese Geste nie von ihr verlangt, doch sie wusste, dass er sie mochte. Die Regierungsgeschäfte interessierten ihn nicht sonderlich, er ließ ihr in allem freie Hand, aber es war ihm wichtig, dass man ihn in der Öffentlichkeit als König ernst nahm.
Er erhob sich und küsste ihr seinerseits die Hand. »Willkommen, Mutter!« Er schien glänzend gelaunt.
»Hattet Ihr eine erfolgreiche Jagd?«, erkundigte sie sich.
Er nickte mit einer Begeisterung, die die Jugend seiner siebzehn Jahre nicht verbergen konnte. »Wir haben drei Hirsche und zwei Eber zur Strecke gebracht!«
Dann bemerkte sie, dass sich der Blick seines Gesichts, mit der etwas zu großen Nase und der schmalen Oberlippe, für einen kaum wahrnehmbaren Moment verfinsterte. Sein Bruder war auf sie zugekommen.
Henri verneigte sich vor ihm und wandte sich dann ihr zu. »Mutter! Ihr seht wundervoll aus – wahrhaft königlich!«, sagte er charmant. Sie lächelte.
Charles hatte sich wieder auf seinen Thron sinken lassen. Ein missmutiger Ausdruck zeigte sich um seine Mundwinkel. Er hob den Arm. »Los, los. Man spiele zum Tanz!«, rief er.
So war es immer, dachte Catherine de Medici, als sie wenig später die Tanzenden beobachtete. Charles war von Eifersucht zerfressen auf Henri. Wer konnte es ihm übel nehmen? Henri war perfekt – so schön, so elegant und liebenswürdig, schoss es ihr mit mütterlichem Stolz durch den Kopf, als sie ihn mit der jungen Comtesse de Polignac tanzen sah. Schon immer war er ihr heimlicher Liebling gewesen. In ihm schien sich alles Königliche des Bluts, das in ihm floss, zu vollenden.
Sie entdeckte zwischen den Anwesenden eine rote Robe – der Kardinal de Lorraine! Er hatte ihnen tatsächlich die Ehre gegeben! Jetzt, da Catherine de Medici darüber Kenntnis hatte, dass der Anschlag verhindert worden war, gönnte sie sich einen Moment der persönlichen Schadenfreude. Die Nachricht, dass Coligny nichts geschehen war, musste den Kardinal und seinen Bruder, den Herzog
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