Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht
aufpassen, wird es uns wie den Niederländern er gehen«, stieß jemand am anderen Ende der Tafel aufgebracht hervor.
Madeleine fiel auf, wie Vardes sich zu Coligny wandte, dem er schräg gegenübersaß. »Was mir nicht gefällt, sind die Schweizer, Admiral. Ein Heer von sechstausend ausländischen Söldnern könnte zu einer Gefahr für uns werden, die wir nicht unterschätzen sollten.«
Coligny nickte ausdruckslos. Seine Finger spielten mit dem Fuß seines Weinglases. »Ich weiß. Und die Guise werden alles tun, um diesen Umstand für sich zu nutzen. Trotzdem werden wir abwarten.«
Nur zögerlich kehrten die Gespräche wieder zu anderen Themen zurück, und Madeleine war froh, als das Mahl schließlich be endet war und sich alle vom Tisch erhoben. Es erstaunte sie, dass man in ihrer Gegenwart so offen über diese Dinge sprach. Auf der anderen Seite, was hatte man von ihr schon zu befürchten? Ob Katholikin oder nicht – sie war auf den Schutz der Hugenotten angewiesen und im Grunde eine freiwillige Gefangene in Châtillon, dachte sie entmutigt und schickte sich an, den Saal zu verlassen.
»Madeleine?« Eine Männerhand hatte sie am Arm gegriffen.
Philippe de Ronsard war neben ihr aufgetaucht und stand nun vor ihr – elegant und attraktiv wie immer. »Hast du einen Augen blick Zeit?«
»Ja, sicher!« Ein Lächeln glitt über ihr Gesicht. Sie freute sich tatsächlich ein wenig, ihn zu sehen. Inmitten der vielen fremden Menschen war es zumindest ein vertrautes Gesicht.
»Monsieur de Coligny würde dich gerne sprechen!«
Der Admiral? Sie nickte, obwohl sie ein leiser Schreck durchfuhr.
Ronsard legte ihr die Hand auf die Schulter. »Er wartet im Kabinett. Wie ich hörte, hattet ihr einen unschönen Zwischenfall auf der Reise?«, fragte er, während er sie durch den Saal zurück in die andere Richtung geleitete. Noch immer standen überall Grüppchen von Menschen herum.
»Ja, ein Überfall«, bestätigte sie ausweichend. Sie bemerkte, dass nicht weit entfernt Nicolas de Vardes mit zwei anderen Männern zusammenstand. Ein überraschter Ausdruck glitt über sein Gesicht, als er sie mit Ronsard weggehen sah.
51
D er Admiral saß an einem Tisch, der mit Papieren und Büchern überhäuft war. »Setzt Euch doch, Mademoiselle«, sagte er freund lich, als sie eintrat, und deutete dabei auf einen der dunklen, verzierten Holzstühle.
»Danke.« Befangen nahm sie Platz. In dem kleinen holzgetäfelten Kabinett wirkte Coligny noch Respekt einflößender als im Saal, und sie bekam plötzlich Angst, dass er sie allzu genau nach den Ereignissen im Wirtshaus befragen könnte.
»Ich hatte noch keine Gelegenheit, Euch persönlich für Euren Mut zu danken, Mademoiselle«, sagte der Admiral in diesem Moment. Er sprach ruhig, beinah getragen. »Ich bin sicher, dass es nicht leicht für Euch ist, hier zu sein – Ihr seid Katholikin und wir Anhänger der reformierten Religion! Und doch hat Gott unsere Wege zusammengeführt.« Er blickte sie offen und verständnisvoll aus seinen blauen Augen an.
Sie schwieg und dachte wieder an die Geschichten, die sie über ihn gehört hatte. Es fiel ihr plötzlich schwer zu glauben, dass er zu solchen Grausamkeiten fähig sein sollte.
»Manchmal sind es die schwierigen und schrecklichen Momente, die unser Leben unerwartet mit Licht erhellen und zum Besseren wenden«, erklärte er sanft. »Ich sage das aus eigener Erfahrung. Lasst mich Euch eine kurze Geschichte erzählen.« Er legte seine gefalteten Hände in einer bedachtsamen Geste vor sich auf dem Tisch ab. »Seht Ihr, ich bin von Geburt an dazu bestimmt und erzogen worden, für den Ruhm meines Königs und Landes eine Armee zu führen. Schon in jungen Jahren war ich damit sehr erfolgreich. Ich habe schwierige und gefährliche Schlachten gewonnen und widrige Belagerungen durchbrochen. Der Sieg war für mich eine Selbstverständlichkeit. Ich wurde Generaloberst der Infanterie und schließlich Admiral. Glanz und Erfolg umgaben mich, doch dann musste ich in Saint Quentin eine verheerende Niederlage einstecken und mit ansehen, wie eine unserer Städte in Feindeshand geriet. Ich selbst kam damals in Gefangenschaft.« Er verstummte, und seinem Gesicht war abzulesen, welche Demütigung diese Niederlage damals für einen Mann wie ihn bedeutet hatte. Dann jedoch umspielte ein leises Lächeln seine Lippen. Er schaute sie an. »Es war die härteste Zeit meinen Lebens, doch in ihr habe ich zu Gott gefunden und erkannt, wer ich wirklich
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