Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht
Coligny regelmäßig mit seinem engsten Kreis zurück. Diener brachten Pläne und Karten in die Kabinettsräume, und man konnte durch die hohen geschlossenen Türen das erregte Gemurmel von Stimmen hören, die mögliche Strategien und Taktiken erörterten und wieder verwarfen. Auch bei den Mahlzeiten, an denen Madeleine weiter im Kreise von Coligny, seiner Gemahlin und den anderen Edelleuten teilnahm, kreisten die Gespräche fast nur um die Politik und den bevorstehenden Krieg. Manchmal, wenn der Admiral nicht wollte, dass das, was er sagte, von allen verstanden wurde, verfiel er für einige Sätze ins Lateinische, das er so fließend sprechen und schreiben konnte wie seine Muttersprache.
Madeleine fiel nun auch auf, dass es außer Charlotte de Laval und den Mägden kaum mehr Frauen auf Châtillon gab. Lediglich zwei Damen, die die Hofdamen von Colignys Gemahlin zu sein schienen, nahmen noch an den Mahlzeiten teil.
Dagegen trafen heimlich ausländische Gesandte in Châtillon ein: Botschafter aus England, vom Hof Elisabeth I., die den Huge notten für den Kriegsfall anscheinend Unterstützung in Aussicht stellten, und auch Abgeordnete der protestantischen Fürstentümer des Heiligen Römischen Reiches, mit denen Coligny sich über Stunden allein in seine Kabinettsräume zurückzog. Die Wortfetzen der deutschen Sprache, die Madeleine gelegentlich hörte, wenn einer von ihnen an ihr vorüberging, riefen Erinnerungen an ihre Mutter in ihr wach.
Der einzige Mensch, den sie unter all den Männern nicht entdecken konnte, war Nicolas de Vardes.
Wie sie auf ihre Nachfrage von Ronsard erfuhr, hatte er Châtillon für einen Auftrag des Admirals für einige Tage verlassen. Madeleine war enttäuscht. Seit ihrer nächtlichen Begegnung hatte sie Vardes nicht mehr gesehen, und obwohl ihr klar war, wie gefährlich nah er daran gewesen war, die Wahrheit von ihr zu erfahren, ertappte sie sich dabei, dass sie immer wieder an ihn dachte. Der Klang seiner rauen Stimme, die Art, wie er sie berührt und geküsst hatte, hatten Gefühle in ihr ausgelöst, die sie verwirrten. Sie musste zugeben, dass sie ihn vermisste.
Ronsard bedachte sie mit einem überraschten Blick. »Du solltest dich lieber von Vardes fernhalten. Du bist nicht nur zu hübsch, sondern eindeutig zu zerbrechlich für einen Mann wie ihn«, sagte er kühl. Es war offensichtlich, dass ihn ihr Interesse nicht nur verwunderte, sondern ihm missfiel. Erneut bemerkte sie, dass er und Vardes sich nicht sonderlich zu mögen schienen.
Am Nachmittag, als sie Guillaume besuchte, dessen Verletzung langsam verheilte, ging ihr Ronsards seltsame Bemerkung noch immer durch den Kopf. Sie versuchte, die Gedanken aus ihrem Kopf zu vertreiben, während sie die Wunde des jungen Niederländers betrachtete. »Was hat der Arzt gesagt?«
Guillaume, der selbst einen Augenblick abwesend gewesen war, fuhr sich durch seinen roten Haarschopf und zuckte die Achseln. »Dass ich mich noch etwas schonen soll und es ansonsten nicht noch einmal wagen soll, ihn wegen einer solchen Lappalie zu belästigen. Er meinte, mehr, als einen Verband anlegen, könnte er auch nicht tun!«
Über Madeleines Gesicht huschte ein Lächeln. Sie hatte den Arzt, einen hageren Mann mit kahlem Haarschopf namens Doktor Bruno, der auch Chirurg war, einmal gesehen und konnte sich nur zu gut vorstellen, wie er diese Worte missmutig hervorbrachte.
»Du solltest etwas Ringelblumensalbe darauftun, das hilft bei der Narbenbildung«, sagte sie.
Guillaume machte eine wegwerfende Bewegung. »Die Narbe stört mich nicht«, erwiderte er.
»Ich werde trotzdem mal sehen, ob ich so etwas auftreiben kann«, erwiderte Madeleine und wandte sich zur Tür. Eine Frauen gestalt blickte ihr von dort entgegen. Es war Charlotte de Laval, die ihren Wortwechsel anscheinend mitgehört hatte. »Nun, wie ich sehe, kümmert sich schon jemand um dich«, sagte sie mit einem Lächeln zu Guillaume.
Sie begleitete Madeleine zurück durch den Flur. »Fragt in der Küche nach Madame Lucille. Sie verwaltet die Medizin und wird Euch die Salbe geben.«
»Danke, das werde ich tun«, sagte Madeleine. Sie verlangsamte plötzlich ihren Schritt. »Ich würde gerne etwas tun, etwas arbeiten! Gibt es nicht irgendetwas, mit dem ich mich hier nützlich machen könnte?«, fragte sie, denn sie spürte, dass es ihr nicht guttat, ihren unablässig kreisenden Gedanken nachzuhängen.
»Aber das tut Ihr doch schon bei Guillaume!«, erwiderte Charlotte de Laval, die stehen
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