Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht

Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht

Titel: Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
Vom Netzwerk:
Borsselen hatte sich ächzend ein Stück aufgerichtet und nahm Madeleine näher in Augenschein. »Bist du etwa dieses katholische Mädchen …?«, entfuhr es ihm.
    Madeleine zuckte zusammen. In dem Gemach war es mit einem Schlag still geworden. Die Männer starrten sie alle an.
    Sie nickte. »Ja, Monsieur!«
    »Du hast den Admiral vor dem Anschlag gewarnt?«
    Sie nickte stumm.
    »Eine Katholikin! Ausgerechnet.« Van Borsselen ließ sich zurück in sein Kissen fallen, doch dann bedeutete er ihr, ein Stück näher zu treten. Er musterte sie erneut und ergriff schließlich ihre Hand, die in seiner Pranke ganz verschwand. »Du hast einem großen Mann das Leben gerettet, mein Kind. Hab Dank dafür«, sagte er und schenkte ihr zwischen zwei flachen Atemzügen ein unerwartet warmes Lächeln.

57
    M adeleine war froh, als sie das Gemach des Kranken wieder verlassen hatte. In der einen Hand die Schüssel mit dem heißen Wasser, schloss sie mit der anderen leise die Tür hinter sich und lief durch ein kurzes Stück Flur, an das sich das Antichambre, das Vorzimmer der Gemächer, anschloss.
    Die Bemerkung von van Borsselen hatte sie gegen ihren Willen berührt. Man hatte aus seinen Worten nur zu deutlich die Bewunderung für Coligny heraushören können.
    Mit nachdenklicher Miene durchquerte sie das Vorzimmer. Sie fragte sich, warum ein Mensch wie der Admiral nur so unterschiedlich gesehen werden konnte. Für die Katholiken war er der Teufel, für die Protestanten fast ein Gott!
    »Wie geht es ihm?«
    Überrascht hielt Madeleine in ihrem Schritt inne. Erst jetzt sah sie, dass auf einem der Schemel in der Ecke des Zimmers eine Gestalt mit rotem Haarschopf saß, die mit niedergeschlagener Miene zu ihr herübersah. Es war Guillaume.
    Zögernd blieb sie stehen. »Dem Grafen?«
    Guillaume nickte. »Er ist mein Onkel, weißt du!«
    »Dein Onkel?« Sie hatte Guillaume nie nach seinem ganzen Namen gefragt und fälschlicherweise geglaubt, dass er lediglich ein Reitknecht oder Knappe des Grafen sei.
    »Ja, er hat mich in seine Dienste genommen – nach dem Tod meines Vaters und Bruders. Sie sind beide getötet worden, bevor wir fliehen konnten«, erzählte er mit tonloser Stimme.
    Madeleine blickte ihn betroffen an. Sie erinnerte sich, wie niedergeschlagen und traurig Guillaume oft gewirkt hatte. Nun verstand sie auch, warum. »Das tut mir leid«, sagte sie schließlich leise.
    »Es sieht nicht gut aus mit seinem Bein, oder?«, fragte er bedrückt.
    Sie begriff, wie viel ihm van Borsselen unter diesen Umständen bedeuten musste. Der Graf war sein einziger Verwandter. Dennoch brachte sie es nicht über sich, ihn anzulügen. »Die Wunde zeigt Anzeichen einer Entzündung. Aber wenn er stark ist und sich jetzt etwas erholt, kann er es schaffen«, erwiderte sie ehrlich.
    »Und wenn die Entzündung weiter voranschreitet?«
    Sie schwieg.
    »Muss man dann amputieren?« Guillaume hatte sich von dem Schemel erhoben und lief nervös einige Schritte durch den Raum. »Mein Onkel spricht ja selbst ständig davon. Er scheint ganz wild darauf zu sein!«
    »Ich bin kein Arzt, aber es kann sein. Man muss wahrscheinlich abwarten«, sagte sie vorsichtig.
    Guillaume seufzte. »Das hat Monsieur de Vardes auch gesagt.«
    Madeleine blickte ihn erstaunt an. Ihr Herz klopfte. »Monsieur de Vardes? Ist er denn wieder zurück?«
    Guillaume nickte. »Ich habe ihn vorhin bei den Ställen gesehen!«

58
    S ie begab sich sofort hinunter zu den Ställen. Die Nachricht, dass Nicolas de Vardes zurück war, hatte eine Mischung aus Angst und Aufregung in ihr ausgelöst. Doch sie musste mit ihm reden – aus mehreren Gründen.
    Mit schnellen Schritten eilte sie über den Hof. Vor den Ställen war es ruhig – sie konnte niemanden sehen. Ein Knecht, ein kräftig gewachsener Mann mit strohblonden Haaren, der dabei war, zwei Pferde auf die hinter dem Schloss angrenzenden Koppeln zu bringen, kam ihr entgegen.
    »Ich suche Monsieur de Vardes!«
    »Hab ich hier nicht gesehen«, antwortete er im Weggehen. »Aber ich hätte nachher Zeit!«, rief er ihr mit einem breiten Grinsen hinterher und zwinkerte ihr zu.
    Madeleine ignorierte die Bemerkung und blieb enttäuscht stehen.
    Wahrscheinlich war Vardes schon längst wieder zurück im Schloss. Sie beschloss dennoch, in den Ställen noch einmal nach ihm zu sehen, aber mit Ausnahme einiger Pferde, die ihr neugierig entgegenblickten, konnte sie tatsächlich niemanden entdecken. Sie lief bis zum Ende des Ganges und wollte gerade umkehren,

Weitere Kostenlose Bücher