Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht
und sie umschlang verzweifelt ihre Knie.
Sie wusste nicht, wie lange sie so gesessen hatte, als sie schwere Schritte hörte, die sich auf dem Gang vor der Tür näherten. Zwei Männer sprachen miteinander. Man hörte das Klappern eines Schlüsselbunds und dann, wie ein schwerer Riegel aufgeschoben wurde.
Die Gestalt einer Wache zeigte sich auf der Schwelle. Trotz ihrer Angst war Madeleine erleichtert, endlich ein menschliches Wesen zu sehen.
Der Mann musterte sie mit einem mitleidslosen Blick. »Dreh dich zur Wand und nimm die Hände auf den Rücken«, befahl er barsch.
Wortlos kam sie seiner Aufforderung nach und spürte, wie er ihre Hände hinten zusammenfesselte und erst dann die Handschelle löste. Er zog sie unsanft auf die Beine und stieß sie vorwärts. Draußen auf dem Gang wartete eine zweite Wache, die ihnen mit einer Laterne voranging.
Madeleines Knie fühlten sich weich an. Sie taumelte und war sich nicht sicher, ob sie überhaupt laufen konnte, doch man stieß sie grob vorwärts.
»Los, mach schon! Man erwartet dich«, fuhr die Wache sie an.
Sie liefen durch einen dunklen Gang und bogen mehrmals um die Ecke. Schließlich wurde sie in einen Raum gebracht, in dem man sie zu einer Wand führte. Die Wache löste ihre Fesseln, nur um sogleich wieder ein paar Handschellen um ihre Gelenke zu schließen, die der Mann mit einem Haken an einem Eisenring über ihr festmachte. Madeleine konnte sich weder nach rechts noch nach links bewegen.
Erst in diesem Moment bemerkte sie den Mann, der auf der anderen Seite des kahlen Steinraums stand. Er trug Hemd und gebauschte Kniebundhosen über seinen hellen Strümpfen und hatte sein besticktes Seidenwams gerade neben sich auf einen Schemel abgelegt – und sah sie nun an. Er war ungewöhnlich kräftig und breit gebaut, doch das Auffälligste an ihm waren seine schrägen Augen. Ihr Herz setzte für einen Schlag aus. Es waren diese Augen, die sich seit ihrer ersten Begegnung in ihren Kopf gebrannt hatten. Vor ihr stand kein Geringerer als der Herzog d’Aumale.
Er bedeutete der Wache mit einem Kopfnicken, den Raum zu verlassen. Madeleine hörte das Klacken der Tür – sie war mit dem Herzog allein.
Wortlos blickte Aumale sie noch immer an. Etwas an dem Ausdruck seines Gesichts, an der grausamen Kälte, die sie darin erkannte, jagte ihr einen eisigen Schauer über den Rücken.
Sie zerrte angsterfüllt und gegen jede Vernunft an ihren Handschellen, doch das Eisen schnitt dabei nur noch schmerzhafter in ihre Haut.
Ohne den Blick von ihr zu wenden, hatte Aumale angefangen, in aller Ruhe seine mit Spitze besetzten Ärmel des Hemdes hochzukrempeln. Dann kam er langsam auf sie zu.
»Bitte … ich habe nichts getan«, stieß sie tonlos hervor, als er vor ihr stehen blieb. Tränen rannen über ihre Wangen.
Für einen kurzen Moment schien in seinen raubtierhaften Augen etwas zu flackern, und seine verhärteten Gesichtszüge veränderten sich. Doch es war kein Mitleid, das sie darin erkannte, sondern ganz im Gegenteil – eine stille Genugtuung. Er genoss die Situation, die Macht, die er über sie hatte – und vor allem ihre Angst, wurde ihr voller Entsetzen klar.
Sie flehte Gott um Hilfe an.
Im selben Augenblick griff er sie brutal am Haar und zog sie zu sich heran. »Hast du wirklich geglaubt, du könntest uns entkommen?«, fragte er kalt.
61
D er Schmerz traf sie unvorbereitet und ohne jede Warnung.
Ohne ein weiteres Wort an sie zu richten, hatte der Herzog d’Aumale nach der Peitsche gegriffen.
Niemals zuvor in ihrem Leben hatte Madeleine körperlich leiden müssen, und die Wucht, mit der das Leder auf sie niederfuhr und sich mit einem glühenden Brennen in ihre Haut grub, ließ sie verzweifelt aufschreien.
»Hört auf …«, flehte sie.
Doch der Herzog hieb erbarmungslos auf sie ein, ohne ihre Schreie zu beachten, die ihn eher noch anzuspornen schienen. Ihr Kleid hing nach wenigen Hieben in Fetzen an ihrem Rücken herunter. Tränen strömten über ihre Wangen, während sie bei jedem Schlag aufschrie. Die kalte Wut, die in Aumales Augen loderte, ließ sie ahnen, was noch auf sie zukommen würde.
Dann riss der Schmerz sie mit sich und ergriff in einer Weise von ihr Besitz, dass sie nichts anderes mehr denken oder spüren konnte als ihre körperliche Qual. Sie hatte das Gefühl, in einen roten Nebel zu tauchen, und nahm beinah erleichtert war, dass ihr die Sinne zu schwinden drohten, da senkte der Herzog die Peitsche.
Sie hörte ihr eigenes Keuchen in dem
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