Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht
Raum, in dem es mit einem Schlag still geworden war.
»Ich denke, du solltest jetzt zu einer kleinen Unterhaltung bereit sein!«, sagte Aumale. Ein feiner Schweißfilm zeigte sich auf seiner Stirn. Mitleidslos musterte er sie.
»Woher wusstest du von dem Anschlag?«, fragte er dann.
Sie blickte ihn, noch immer schwer atmend, an.
»Rede! Wer hat dir von unserem Plan erzählt? Wieso konntest du diese Ketzerbrut warnen?« Er umklammerte mit seinen Fingern ihr Kinn und drehte ihren Kopf grob zu sich, ohne die Peitsche aus der Hand zu legen.
»Niemand«, sagte Madeleine mit zittriger Stimme. Ihr Rücken brannte wie Feuer und fühlte sich wund an. Sie konnte nicht mehr klar denken. Der Schmerz schien jetzt, da er sie nicht mehr schlug, beinah noch schlimmer als zuvor. Doch sie durfte ihm nicht die Wahrheit sagen, sonst war sie verloren. Hilf mir, Gott, bat sie erneut stumm, aber als sie sah, wie sich die Augen des Herzogs d’Aumale zu schmalen Schlitzen zusammenzogen, kam es ihr vor, als wenn der Allmächtige sie schon lange verlassen hätte. Sie war bereits in der Hölle gelandet.
»Niemand? … Und woher wusstest du dann von dem Anschlag?«
»Ich … habe Eure Männer gesehen.«
»Meine Männer? Wo?«
In ihrer Angst und der Benommenheit des Schmerzes fiel ihr nichts anderes ein als das, was sie auch den Hugenotten erzählt hatte. »Im Wald, auf dem Weg vom Kloster zum Dorf.«
Seine Hand traf sie mit voller Wucht im Gesicht. Sie schmeckte Blut auf der Zunge.
»Du lügst! Wir sind dort überhaupt nicht entlanggekommen!«, zischte er.
Sie senkte den Kopf. Er war ein Ungeheuer, es gefiel ihm, sie zu quälen – und sie war ihm ausgeliefert. Verzweifelt bemühte sie sich, an etwas zu denken, das ihr Kraft gab. Das Gesicht von Nicolas tauchte vor ihren Augen auf. Sie versuchte, sich den Klang seiner rauen Stimme ins Gedächtnis zu rufen und sich daran zu erinnern, wie er sie geküsst hatte, aber es gelang ihr nicht. Warum war er nicht auf dem Turm gewesen? Dann tauchte das Gesicht einer Frau vor ihr auf. Sie ähnelte ihrer Mutter, doch sie war älter. Magdalena! , sagte sie mit warmer Stimme …
In diesem Moment griff Aumale brutal in ihre Haare und zog ihren Kopf zu sich. Die Bilder rissen ab.
»Antworte! Wer hat uns verraten?«
»Niemand«, sagte sie. Sie zitterte vor Furcht am ganzen Körper.
Er betrachtete sie. Dann ließ er sie plötzlich los. »Was für ein Jammer«, sagte er bedauernd. »Du bist hübsch. Die Protestanten haben bestimmt an dir Gefallen gefunden, nicht wahr?« Er beugte sich zu ihr. Seine Hand fuhr langsam über die wunden Striemen auf ihrem Rücken, und sie stöhnte unterdrückt auf, denn es fühlte sich an, als würde ein glühendes Feuer über ihren Rücken wandern.
»So hübsch wirst du wohl leider nicht bleiben«, fuhr Aumale fort. Er hatte seine Hand wieder weggenommen und strich damit über die Peitsche. Sie schauderte.
»Ich werde die Wahrheit aus dir herausbekommen. Es liegt an dir, wie viel Schmerzen du auf dem Weg dahin ertragen willst«, verkündete er.
»Bitte nicht … Ich habe nichts getan«, flehte sie mit brüchiger Stimme.
»Nichts getan?«, stieß er hervor. Seine Augen drohten ihm aus dem Kopf zu springen. »Du hast diesem Ketzer und Mörder Coligny die Flucht ermöglicht und verhindert, dass er endlich seine gerechte Strafe bekommt!« Mit unbändiger Wut ließ er die Peitsche auf ihren Rücken niederfahren, und sie spürte, wie warmes Blut über ihre Haut rann.
Er würde nicht aufhören, sie zu schlagen, begriff sie, denn es ging ihm nicht nur darum zu erfahren, wie sie von den Plänen der Guise hatte wissen können, sondern er wollte sie strafen, um seinen Zorn an ihr auszulassen.
Sie schloss die Augen. Die Schläge, die stärker waren als zuvor, brachten sie abermals an den Rand einer Ohnmacht. Sie hatte nicht mehr die Kraft zu schreien.
Erneut tauchte sie in den roten Nebel ein. Wieder sah sie die alte Frau. Magdalena! Die Frau streckte ihre Hände aus. Ihre Stimme klang sanft und gütig und umhüllte sie wie ein schützender Kokon. Der Schmerz schien sich plötzlich etwas von ihr zu lösen, als würde ihr Körper nicht mehr zu ihr gehören, und sie hatte das Gefühl, als könnte sie sich selbst von außen betrachten.
Ein Schwall kaltes Wasser traf ihr Gesicht.
»Oh nein! Du wirst nicht ohnmächtig werden! Diesmal nicht! Du wirst mir antworten, hörst du!«, fuhr Aumale sie aufschäumend an.
Sie schnappte nach Luft. Alles schien noch immer weit weg, wie
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