Das Maedchen mit den Schmetterlingen
alten Bekannten aus der Nachbarschaft handelte. Seáns Verlegenheit war nur von kurzer Dauer, erneut setzte er zum Überholen an. Der vorwurfsvolle Blick des Alten im Rückspiegel war ihm lästig, er zog den Wagen ein Stück zur Mitte und gab Gas. Vor ihm war alles frei. Er überholte die beiden Gespanne und gleich noch einen Wagen voller Touristen. Irgendjemand hupte.
»Die können mich alle mal!«, sagte er laut zu Ben, der
schon wieder zu schreien anfing. »Mein Gott, Ben, hast du in deinem jämmerlichen Leben eigentlich noch was anderes gelernt als Schreien?«
Als Seán auf eine enge Kurve zujagte, schob sich von links ein großer Traktor mit einem Anhänger voller Schafe langsam auf die Straße. Seán wich ihm ruckartig aus und stieß dabei fast mit einem entgegenkommenden Lieferwagen zusammen. Erneut wechselte er abrupt die Richtung, versuchte, den Wagen zu stabilisieren, drehte sich um die eigene Achse und geriet auf die Gegenfahrbahn, direkt vor die Motorhaube eines Lastwagens. Während sein Transporter über die Straße schlitterte, sah Seán, wie der Fahrer des Lastwagens bremste und gleichzeitig versuchte, ihm auszuweichen. Er sah den in Verblüffung und Angst weit aufgerissenen Mund des Fahrers. Mit einem Seitenblick vergewisserte er sich, dass Ben nichts passiert war, während er versuchte, den Wagen wieder auf die richtige Spur zu bringen. Er stieß ein Stück zurück. Gott sei Dank war das Gespann mit den Schafen, das mittlerweile zum Stillstand gekommen war, so langsam gefahren. Der Fahrer des Gespanns fuchtelte wild mit den Armen, um ihn zu warnen.
Seán blickte sich um und stellte fest, dass er zu weit zurückgestoßen war. Er wollte ein Stück vorwärtsfahren, geriet aber aus irgendeinem Grund noch weiter auf die Gegenfahrbahn, und dann lief alles wie in Zeitlupe ab. Hatte sein stummer Bruder gerade etwas gesagt? Es roch nach verbranntem Gummi, und er sah, wie ein Sattelschlepper seinen Rückspiegel komplett ausfüllte. Das schrille Kreischen der Bremsen übertönte die Schreie, die aus Seáns Kehle drangen.
Kate stand mit Dermot in der Küche, der die Suche nach Seán aufgegeben hatte und zurückgekommen war, um Kate Beistand
zu leisten. Ihm war klar, dass sie vollkommen aufgelöst sein musste.
Wachtmeisterin Morris betrat zögernd die Küche und versuchte, sich bis zum Eintreffen ihres Vorgesetzten nicht anmerken zu lassen, was sie soeben am Telefon erfahren hatte.
»Das war Sergeant Mackey. Er wird gleich hier sein, Miss Byrne.«
»Haben Sie ihn gefunden?«
Die Polizistin hüstelte. Sie hatte erst vor einem Jahr an der Polizeischule in Templemore ihren Abschluss gemacht, und so etwas, wie das hier, hatte sie bis jetzt noch nicht erlebt, schon gar nicht in diesem kleinen Städtchen mitten auf dem Land, wo sie stationiert war.
»Ich weiß nicht, Miss Byrne«, log sie. »Ich glaube kaum. Aber bald wissen wir mehr.«
Sie spürte Dermots bohrenden Blick.
Zehn qualvolle Minuten später fuhr Sergeant Thomas Mackey auf den Hof und ging ins Haus. Er kannte die Familie flüchtig, allerdings eher durch Kates Cousin Liam, den er schon öfter nach einer durchzechten Nacht hatte in Gewahrsam nehmen müssen. Bevor er sich setzte, fragte er Dermot, ob vielleicht ein bisschen Whiskey im Hause sei, was Kate unter den gegebenen Umständen unglaublich fand.
»Nicht für mich«, wehrte der Sergeant ab, als er ihre entsetzte Miene sah. »Sie sehen so aus, als könnten Sie einen Schluck vertragen, Madam.«
»Nein, danke«, erwiderte Kate steif. Sie hatte für den Rest ihres Lebens vom Alkohol genug und die eigentliche Bedeutung dieser Frage nicht erkannt, ganz im Gegensatz zu Dermot, der jetzt dichter an sie heranrückte und ihr eine Hand auf den Rücken legte, um sie für das, was gleich kommen würde, zu wappnen
»Könnten Sie vielleicht Tess suchen und sie mit nach draußen nehmen? Um das Pferd zu füttern?«, bat er die Polizistin und warf ihr einen bedeutungsvollen Blick zu.
Als die Polizistin hinausging, sah Kate ihn fragend an, doch er wandte sich ab. Er konnte den Schmerz, den man ihr gleich zufügen würde, nicht ertragen.
Der Sergeant räusperte sich.
»Wir haben den Lieferwagen gefunden, Miss Byrne, auf der Hauptstraße. Es hat leider einen Unfall gegeben, an dem mehrere Fahrzeuge beteiligt waren.«
Dermot spürte, wie Kates Rücken sich versteifte, als wollte sie sich gegen den Schlag, der sie erwartete, wappnen. Sie wagte nicht zu sprechen, um nichts zu verpassen, um zu hören, dass
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