Das Maedchen mit den Schmetterlingen
nur ein paar Schritte entfernt im Nebenzimmer lag. Sie hatte dieses Glück redlich verdient, sie brauchte es.
Als Dermot gegangen war, warf Kate noch einmal einen Blick auf Seán, der im Schlaf zu lächeln schien. Er stank nach Erbrochenem und Schweiß, und sie würde ihn morgen, bevor die Schwester kam, waschen müssen.
Als sie sich auszog und erschöpft in ihr Bett fiel, merkte sie, dass Tess wach war und sie beobachtete.
»Kate?«
»Ja, Tess?«
»Liebst du Dermot?«
Für einen kurzen Augenblick stockte Kate das Herz. Hatte Tess sie gesehen?
»Tess, hast du etwa das Zimmer verlassen?«
Tess zögerte, der scharfe Unterton in Kates Stimme war ihr nicht entgangen.
»Nein, ich frage ja nur. Tut mir leid. Das ist zu persönlich. Ich entschuldige mich.«
Kate lag in der Dunkelheit und musste lächeln. »Ist schon in Ordnung, Tess, und, ja, ich liebe ihn, weiß Gott.«
Kate drehte sich auf die Seite. Eigentlich hatte sie mit einer friedlichen Nacht gerechnet, in der sie von Dermot und ihrer gemeinsamen Zukunft träumen konnte, doch stattdessen träumte sie von ihrer Mutter, die genau über jene Wiese ging, auf der sie Seán am Morgen gefunden hatte, Arm in Arm mit Kates Großeltern. Sie machten einen fröhlichen Eindruck, als hätte ihre Mutter ihnen verziehen, dass man sie gezwungen hatte, Michael Byrne zu heiraten.
Um vier Uhr morgens wachte sie auf. Sie konnte nicht mehr einschlafen, ging in die Küche und kochte Tee.
Die Luft war kalt und feucht. Der Traum hatte aus irgendeinem Grund ein unangenehmes Gefühl hinterlassen. Sie öffnete Seáns Zimmertür und stellte fest, dass er immer noch tief und fest schlief. Ihre Mutter hatte immer gesagt: Wenn die Toten
dir eine Botschaft schicken wollen, dann träumst du von ihnen. Aber welche Botschaft? Vergib Seán? Entschädige ihn? Sie hatte keine Ahnung.
Kate blieb noch lange wach und sah der aufgehenden Sonne zu, wie sie versuchte, den wintergrauen Himmel zu durchdringen.
Kapitel 41
1981
U m halb neun schreckte Kate auf. Sie war nach der langen Unterbrechung mitten in der Nacht noch einmal in einen tiefen, erholsamen Schlaf gesunken und hatte den Wecker nicht gehört. Sie sprang aus dem Bett und rief ihrer Schwester ein hastiges »Aufstehen!« zu. Normalerweise war Tess um diese Zeit schon auf den Beinen und konnte es kaum erwarten, dass Kate sie nach Glenmire fuhr. Kate spürte, wie Seáns Probleme die gesamte Familie in Mitleidenschaft zog. Sie zog sich hastig an und schüttelte Tess, dann rannte sie ins Zimmer von Ben und Seán auf der anderen Seite des Flurs. Beide schliefen noch tief und fest. Sie konnte sich dunkel an das Hupen von Bens Schulbus draußen vor dem Haus erinnern. Er war offenbar weitergefahren, als sich niemand rührte. Ben musste also zu Hause bleiben, oder sie musste ihn zur Schule bringen, nachdem sie Tess in Glenmire abgesetzt hatte. Schnell kleidete sie Ben an und setzte ihm in der Küche hastig einen Toast vor, was am schnellsten ging, aber Ben jammerte ununterbrochen, weil der geänderte Ablauf ihn ängstigte, und schaukelte wild auf seinem Stuhl vor und zurück, wovon Kate Kopfschmerzen bekam. Sie versuchte, Tess nicht anzuschnauzen, die Selbstgespräche über ihre Frisur führte und aus irgendeinem Grund immer noch im Nachthemd war. Sie ließ Ben alleine, legte ihrer verstörten Schwester den Arm um die Schulter und erklärte
ihr ganz ruhig, dass sie fünf Minuten Zeit hatte, um sich anzuziehen, dass sie ihr die Haare richten würde, sobald sie angezogen war, und dass sie ihren Toast im Auto auf dem Weg nach Glenmire essen musste. Tess begann in ihren Zeichnungen zu wühlen, und Kate spürte, dass sich etwas zusammenbraute, machte kehrt und sagte sich, dass es auch kein Weltuntergang war, wenn sie heute einfach alle zu Hause blieben.
Tess jammerte ununterbrochen »Das ist alles deine Schuld!«, was Kate schließlich auf die Nerven ging.
»Wer ist schuld, Tess?«
Keine Antwort.
»Was redest du da, Tess?«
»Das ist alles seine Schuld«, schrie Tess und biss sich kräftig in die geballte Faust.
Jetzt fiel auch noch Ben in der Küche in das Gebrüll mit ein. Es war wirklich unerträglich.
»Wer ist er , Tess? Von wem sprichst du denn?«
»Er, er!«, kreischte sie, deutete auf ihr eigenes Gesicht und rannte wieder zurück zu ihrer Zeichnung.
Seufzend schleppte Kate sich zurück in die Küche. Vor Seáns Zimmertür blieb sie stehen und sah ihn regungslos im Bett liegen, das Gesicht in die Kissen vergraben. Wenn er ihr doch
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