Das Maedchen mit den Schmetterlingen
ihn so behandelte, oder was er tun konnte, dass sie sich ihm wieder öffnete.
In der Küche berichtete ihm Tess von dem Gespräch zwischen Schwester O’Connell und dem Doktor, das sie belauscht hatte. Man wolle sie wegbringen, wenn es mit Kate nicht bald bergauf ging, und sie flehte Dermot an, sich um sie zu kümmern, damit sie nicht zu fremden Leuten musste, sie würde ihm ganz bestimmt keine Umstände machen. Er blickte die junge Frau, die ihm so ans Herz gewachsen war, liebevoll an. Er liebte Tess wie seine eigenen Schwestern. Er beruhigte sie, nicht ohne schlechtes Gewissen, schließlich war er sich nicht einmal sicher, ob es hier überhaupt etwas gab, was ihn veranlassen konnte zurückzukehren. Er gab Tess seine Telefonnummer und Adresse in Galway und sagte, sie solle ihn anrufen, wenn es etwas gab, was er wissen sollte. Tess nickte und wandte sich wieder ihrer Zeichnung zu.
Deirdre rief Dr. Cosgrove an, um mit ihm über Tess’ Zeichnungen zu sprechen. Cosgrove erklärte, dass Tess genau dieses Bild, wenn auch ohne Bens Leiche und gewisse andere Details,
im Lauf ihres langen Aufenthalts in der Anstalt immer wieder gemalt hatte. Er hatte versucht, hinter seine Bedeutung zu kommen, aber wenn er sie gefragt hatte, hatte sie den Finger auf die Lippen gelegt, als handelte es sich um ein Geheimnis, das sie um keinen Preis verraten wollte. Später hatte er, wie er Deirdre berichtete, auch versucht, Tess auf den Mord anzusprechen, doch die Wirkung sei so verheerend gewesen, dass er gezwungen gewesen war, ihr ein starkes Beruhigungsmittel zu geben. Daraufhin hatte er auf jede Form der Therapie verzichtet. Falls sie dieses Verbrechen tatsächlich begangen hatte, dann konnte sie ihre Tat jedenfalls nicht begreifen, und dann war es auch zwecklos, die Geschichte noch einmal aufzurollen.
Deirdre hörte ihm aufmerksam zu. »Und? Glauben Sie, dass sie es getan hat?«
Dr. Cosgrove stieß vernehmlich die Luft aus. »Nein, das glaube ich nicht«, erwiderte er und legte auf.
Deirdre hatte das Gefühl, als wollte Tess mit diesen Zeichnungen eine verdrängte Erinnerungen ausdrücken, etwas, was sie nicht in Worte fassen und an das sie sich womöglich nicht einmal vollständig erinnern konnte. Vielleicht konnte sie jemanden auftreiben, der ihr weiterhelfen konnte.
Dr. Doyle rief Deirdre an und bat sie, bei dem bevorstehenden Gepräch mit Kate Byrne anwesend zu sein. Er wollte eine Frau dabeihaben und wusste, dass Deirdre und Kate mittlerweile Freundinnen geworden waren. Sie trafen zur gleichen Zeit ein, was Tess in ziemliche Verwirrung stürzte, da sie die Wagengeräusche nicht unterscheiden konnte und sich an der Haustür vergewissern musste.
Kate saß in eine Decke gewickelt in der Küche. Ihr war kalt, obwohl die Haushaltshilfe ein großes Feuer im Ofen geschürt
hatte. Mit versteinerter Miene hörte sie Dr. Doyle sagen, dass er ihre Untersuchungsergebnisse mitgebracht habe und ob sie einverstanden sei, dass Schwester O’Connell mit dabei blieb. Kate nickte. Deirdre bat Tess, nach draußen zu gehen und sich um das Pferd zu kümmern, weil das Gespräch möglicherweise nicht für ihre Ohren bestimmt war. Kate machte einen desinteressierten und keineswegs besorgten Eindruck, als hätten Herz und Seele schon lange einer grenzenlosen Gleichgültigkeit Platz gemacht.
Dr. Doyle nahm Kate gegenüber Platz und kam mit umständlichen Worten auf die Blutuntersuchungen zu sprechen, die er veranlasst hatte, um hinter die Ursache ihrer Krankheit zu kommen, als könnte es Kate womöglich entfallen sein.
Kate nickte ungeduldig. Sie scheute mittlerweile jegliche Gesellschaft und fühlte sich nur wohl, wenn sie sich alleine ihren Gedanken überlassen konnte. Die Tage verbrachte sie damit, an Ben zu denken. Sie malte sich aus, dass er im Himmel war, ohne seinen Autismus, dass er mit anderen Kindern spielte, während ihre Mutter ihn liebevoll aus der Ferne beobachtete. Ein Bild, das Kate jederzeit abrufen konnte und sie glücklich stimmte, wenn auch nur für einen kurzen Moment.
»Nun …«, fuhr Dr. Doyle leise fort, »Ihr Blut ist völlig in Ordnung.«
Deirdre O’Connell blickte überrascht auf. Sie hatte gedacht, dass der Doktor sie hierherbestellt hatte, um Kate zu trösten, weil er schlechte Nachrichten hatte.
»Sie sind unterernährt, aber das wissen Sie ja selbst.« Er hielt inne und blickte die beiden Frauen an.
Kate wurde allmählich ungehalten. Warum zog er die Sache unnötig in die Länge? »Also, in Gottes Namen,
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