Das Maedchen mit den Schmetterlingen
Hauses. Mitternacht war schon vorbei, und es gab noch kein Lebenszeichen von ihrem Vater, der schon am Morgen angefangen hatte zu trinken. Ihre zukünftige Schwägerin, Rose Moore, hatte den Weg nicht gescheut und sie immerhin benachrichtigt, dass ihr Vater schon den ganzen Tag im Slattery’s hockte und die Touristen belästigte, die dort etwas trinken wollten.
»Er wird uns noch alle zugrunde richten«, sagte Kate laut, obwohl sie ganz alleine war. Sie hatte das Baby schon lange ins Bett gebracht und auch von Seán, der ihr an den Abenden normalerweise Gesellschaft leistete, fehlte jede Spur. Tess ging jeden Abend genau zur gleichen Zeit ins Bett, ihr Bedürfnis nach Ritualen und Regeln war unverändert. Kate war erschöpft, die Last der Verantwortung für den Haushalt und die Sorge um Ben forderten ihren Tribut.
»Warum kann er sich nicht wenigstens bis zu meiner Hochzeit
zusammenreißen?«, fragte sie in die Stille. Er machte sich nichts aus ihr, kein Zweifel. Er hatte ihr und Seán immer nur Knüppel zwischen die Beine geworfen und sie ständig niedergemacht, ganz egal, wie viel sie geleistet hatten. Zu Tess war er nach der Geburt zunächst einmal freundlicher gewesen, doch als ihre Probleme offensichtlich wurden, war sein Interesse wieder abgekühlt, und sie hatte nicht ein einziges Mal gesehen, dass er das Baby auf den Arm genommen hatte. Kate spürte, dass ihr die Tränen kamen. Warum war ihr nur so elend zumute? So kannte sie sich überhaupt nicht. Vielleicht hing es mit der ganzen Aufregung um die Hochzeit zusammen. Sie vermisste ihre Mutter, die ihren großen Tag nicht mehr miterleben konnte. Die ersten kleinen, heißen Tränen rollten über ihr blasses Gesicht.
»Arme Mammy! Es hätte dir so gut gefallen. Es hätte dir so sehr gefallen, dass ich heirate!«, schluchzte sie, während sie die Kleider für die Brautjungfern bügelte.
Ihr Schluchzen war lauter geworden, und sie war froh, dass sie alleine im Haus war. Niemand sollte sie weinen sehen. Schließlich mussten sich die anderen auf sie verlassen können. Die ganze Vergangenheit schien heute Abend auf sie einzustürzen. Sie setzte sich neben den Ofen, wo früher immer ihre Mutter gesessen hatte. Bei der Beerdigung hatte sie um ihre Mutter geweint, aber heute Abend spürte sie ihre Abwesenheit viel deutlicher, viel endgültiger. Sie dachte an das grauenvolle Leben, das sie erduldet hatten. Ihr Vater hatte ihre Mutter oft genug verprügelt und auch sie selbst und Seán nicht verschont, wenn sie versucht hatten, sie zu beschützen. Als Kates Tränen allmählich versiegten, schnürte sich plötzlich ihre Kehle zusammen, und sie glaubte zu ersticken, bis irgendwann die vielen Jahre der Verbitterung und Enttäuschung aus ihr herausbrachen wie noch nie zuvor. Ein tierischer, panischer
Laut, weder Schrei noch Stöhnen, löste sich aus ihrer Kehle. Sie empfand eine unbändige Wut wegen Seán, wegen Tess und wegen Ben, aber am meisten wegen ihrer Mutter, die niemals wieder das Tageslicht erblicken, die niemals Kates großen Tag miterleben würde. Kates Augen weiteten sich, als sie die Stimme ihrer Mutter zu hören meinte, die flehentlich nach ihr rief, wie in den letzten Tagen ihrer Krankheit.
»Dieses Dreckschwein«, entfuhr es ihr. »Er hat ihr ganzes Leben zerstört. Er ist Schuld, dass sie nicht mehr bei ihren Kindern sein kann, bei mir. Und er wird auch unser Leben zerstören.« Sie wünschte, ihr Vater wäre tot, damit weder sie noch ihre Geschwister jemals wieder unter Michael Byrne zu leiden hatten.
Nur das schwache Glimmen der Straßenlaternen zeigte Michael Byrne den Weg entlang der Dorfstraße zu seinem Hof. Die drei Kilometer kamen ihm mit seinen weichen Knien vor wie dreißig. Es war schon fast vier Uhr morgens, und er war in einem Straßengraben auf der falschen Seite des Dorfes aufgewacht. Er konnte sich nicht erinnern, wie er dorthin geraten war, und als er sich aufrappelte, stellte er fest, dass sein Hemd voll mit Erbrochenem war. Jetzt fiel ihm ein, dass ihm schwindelig geworden war und er sich hingesetzt hatte, bis der Schwindel sich verzogen hatte. Er wusste noch, dass man ihn nach einem Streit mit Liam, dem Neffen seiner Frau, aus dem Slattery’s geworfen hatte. Vage meinte er sich zu erinnern, dass er danach versucht hatte, ins Massey’s zu kommen, und auch mit Massey aneinandergeraten war. Danach wusste er gar nichts mehr, nur, dass er sich zum Ausruhen in diesen Straßengraben gesetzt hatte. Wahrscheinlich war er einfach
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