Das Maedchen mit den Schmetterlingen
aufmerksam, doch sie merkten es nicht. »Nein, Maura, geh zurück, geh nach Hause zu deinem Mann. Ich kann dir nichts bieten!«
Er stellte ihren Koffer auf den Boden, warf ihr noch einen letzten Blick zu und tauchte im Gewühl der Menge unter. Sie rannte ihm nach, rief seinen Namen, flehte, konnte ihn aber nirgendwo entdecken. Sie kletterte auf das Geländer, um über die Köpfe hinwegzublicken, während sie Seán unter den Arm
geklemmt hielt, aber er war nicht mehr zu sehen. Éamonn war verschwunden.
Nach einem letzten Blick in das Gewühl nahm sie ihren Koffer, drehte sich um und verlor sich in der Menge. Mit Seán auf dem Arm lief sie den Quai entlang. Zufriedene Menschen traten aus den Geschäften und flanierten mit ihren Einkäufen an ihr vorbei, während sie schweißgebadet und wie betäubt zurück zur Bushaltestelle taumelte. Seán schrie vor Hunger, doch sie hörte es nicht. Sie überquerte den Liffey und blickte den Fluss hinunter bis zu der Stelle, wo sie vor wenigen Augenblicken noch gestanden hatten. Vielleicht war er ja dort, vielleicht suchte er sie. Auf dem Aston Quay blieb sie stehen und starrte in das schmutzige Wasser des Liffey und hörte den Ruf seiner gemächlich dahinziehenden Strömung, die ihr Abkühlung und ihrer gequälten Seele Frieden versprach. Sie wusste nicht wohin. Michael würde sie mit Sicherheit umbringen, und ihre Eltern würden ihr keine Zuflucht bieten. Maura machte ein paar Schritte auf die Ufermauer zu, die hier nicht besonders hoch und leicht zu erklimmen war. Sie nahm nichts mehr wahr, weder den Verkehr noch die Menschen noch den Lärm der Stadt. Stille hüllte sie ein, und sie wurde von einem inneren Frieden ergriffen, den sie seit ihrer ersten Begegnung mit Éamonn McCracken nie wieder gespürt hatte. Ihre abgetragenen schwarzen Schuhe berührten bereits die Mauer. Sie hatte nur noch einen Wunsch: schlafen, ewig schlafen, an einem Ort, wo Michael weder an sie noch an Seán Hand anlegen konnte. Wo das Baby unter ihrem Herzen sich für immer treiben lassen konnte, ohne das Elend des Lebens zu kennen. Maura stellte den linken Fuß auf die Mauer. Dann hielt sie inne. Der Traum vom Frieden erschien ihr plötzlich besser als der tatsächliche Frieden, der sie erwartete. Tränen rannen ihr über das Gesicht, das unter ihren schwarzen Haaren gespenstisch
blass wirkte. Ein Bild tauchte vor ihrem inneren Auge auf, ihr lebloser Körper, umschwebt von einem Meer aus bunten Blumen, Seán, still und ruhig, lag schlafend neben ihr. Maura hob den rechten Fuß. Sie meinte in der Ferne eine Stimme zu hören, die ein Gebet sprach. Sie griff sich an den Mund und merkte, dass es ihre eigene Stimme war. Sie hatte schon lange nicht mehr gebetet.
»Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir. … Du bist gebenedeit unter den Frauen, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes …«
Maura sah Seán an, der wieder angefangen hatte zu weinen. Alles schien verlangsamt, wie in einem Traum. Seáns Geschrei war anfangs kaum zu hören, sie sah nur sein verzerrtes Gesicht, sah, wie er sich in ihren Armen hin und her warf. Allmählich drangen seine Schreie in den Ort des Friedens, der sie zu sich locken wollte, wurden immer lauter, flehender, drängender. Maura ließ den Blick von ihrem erhobenen Fuß zum Gesicht ihres Kindes wandern und wieder zurück zu ihren Füßen. Dann sackte sie an der Quaimauer zusammen, das jammernde Kind fest an sich gepresst.
Als Maura wieder zu sich kam, beugten sich zwei Krankenschwestern über sie. Die eine rief gerade nach einem Arzt. Verwirrt blickte sich Maura im Krankenzimmer um.
»Was ist passiert? Wo ist mein Kleiner?«
»Keine Angst, Liebes. Ihrem Kind geht es gut. Er ist unten auf der Säuglingsstation und wird gerade gefüttert. Sie sind auf der Straße ohnmächtig geworden und haben sich den Kopf gestoßen. Ein Taxifahrer hat sie hergebracht.«
»Wie lange bin ich schon hier?«
»Ungefähr seit vier Stunden. Wie heißen Sie?«
»Maura Byrne.«
»Und wo wohnen Sie?«
»In Wicklow, Árd Glen.«
»Sie haben keine Papiere bei sich, deshalb konnten wir Ihren Mann nicht verständigen. Das holen wir aber jetzt gleich nach.«
»Nein! Ich meine, das ist nicht nötig. Es ist zu weit weg, und wir haben kein eigenes Telefon. Wenn ich jetzt nach Hause gehen kann, dann ist alles in Ordnung.«
»Nach Hause! Oh nein, Liebes, Sie bleiben ganz bestimmt über Nacht hier bei uns, und außerdem will der Arzt noch mit Ihrem Mann sprechen. Wir
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