Das Maedchen mit den Schmetterlingen
er nichts gewinnen, sondern nur verlieren.
So saßen sie beide in der Falle, aneinandergekettet mit ihren Geheimnissen und ihrer Scham, und Maura hatte ausnahmsweise einmal das Gefühl, als hätte sie es nicht anders verdient
Kapitel 10
1981
K ate war schon früh aufgestanden, machte sich im Haus zu schaffen und wartete, dass Tess aufwachte. Seán war sogar noch früher aufgestanden, was schon lange nicht mehr vorgekommen war, und hatte ohne Frühstück das Haus verlassen, was schon lange nicht mehr vorgekommen war. Kate war erleichtert, denn ihr Bruder hatte mittlerweile in jeder Hinsicht die Rolle ihres Vaters übernommen. Die Kommunikation beschränkte sich im Wesentlichen auf Fluchen und Türenknallen. Sie fürchtete sich mittlerweile vor ihm, wie sie sich eingestehen musste, dabei hatten sie früher einmal ein inniges Verhältnis gehabt. Oft ließ er seine Wut an Ben aus, der nicht das Geringste dafür konnte, dass er so war, wie er war.
Kate war nervös und wollte den ersten Tag mit ihrer Schwester so schnell wie möglich hinter sich bringen. Erschrocken hatte sie feststellen müssen, dass aus Tess in diesen zehn kurzen Jahren eine junge Frau geworden war. Aber was hatte sie eigentlich erwartet? Dass sie immer noch ein Kind war? Wohl kaum. Aber in gewisser Weise hatte sie genau das erwartet, als wäre das Leben ihrer Schwester mit Michael Byrnes Tod genauso zu Eis erstarrt wie ihr eigenes. Seit Tess den Hof verlassen hatte, saß sie hier in der Falle, und manchmal fragte sie sich, wer von ihnen beiden eigentlich inhaftiert
worden war. Sie fühlte sich verurteilt zu lebenslanger Arbeit und Sorge.
Der Brief von Dr. Cosgrove kam ihr wieder in den Sinn, in dem er angekündigt hatte dass er Tess aufgrund ihres Alters nicht länger in der Klinik unterbringen konnte und dass er, da ihre Angehörigen sich nicht gerührt hatten, davon ausging, dass sie nicht in der Lage waren, sie bei sich aufzunehmen. Er werde in Kürze Kontakt mit dem Hausarzt am Ort aufnehmen, um ihr eine andere Unterkunft zu besorgen.
Kate war zu Tode erschrocken. Das war vollkommen ausgeschlossen. Wie peinlich, wenn ihre Schwester irgendwo im Dorf wohnen würde, es würde jede Menge Gerede geben, aber, was viel wichtiger war: Tess war hier zu Hause. Sie hatte ein Recht, hier zu sein, und es war immer Kates Wunsch gewesen, Tess wieder nach Hause zu holen, nur Seán war dagegen. Aber die Meinung ihres Bruders war ihr inzwischen gleichgültig, sie wollte sich nicht länger bevormunden lassen und hatte Dr. Cosgrove sofort geantwortet und ihm mitgeteilt, dass Tess nach Hause kommen konnte.
Gedankenverloren saß Kate in der Küche und hörte nicht, als Tess eintrat.
»Kate, warum hast du mich nicht besucht?«
Kate fuhr erschrocken hoch und errötete vor Scham. Sie wagte es nicht, ihrer Schwester zu gestehen, dass sie zweimal den Bus nach Dublin genommen hatte und es beide Male nicht fertiggebracht hatte, sie zu besuchen. Dass sie einfach nicht die Kraft gehabt hatte, Tess’ Flehen, sie nach Hause mitzunehmen, standzuhalten.
»Ich war sehr beschäftigt, Tess. Wir haben wirklich jede Menge Arbeit hier, weißt du noch?«
Kate merkte, dass ihre Schwester mit der Antwort nicht zufrieden war.
»Du hättest im Sommer kommen können, wenn die Lämmchen größer sind, oder an Weihnachten, bevor sie auf die Welt kommen«, erwiderte Tess arglos, obwohl Kate in der sonst unbewegten Miene ihrer Schwester eine ungewöhnliche, schwer zu deutende Regung wahrzunehmen glaubte.
Kates Anspannung wuchs, sie zog die Schultern hoch und presste die Zähne zusammen.
»Es … es ist mir furchtbar schwergefallen, Tess. Ich erwarte gar nicht, dass du mich verstehst, dazu bist du noch zu jung. Es war einfach so … bitter … so …«
»Ich bin einundzwanzig«, fauchte Tess, sodass Kate erschrocken zurückwich.
»Ja, Tess, ich weiß, du bist jetzt eine Frau. Aber … was wolltest du damit sagen, Tess?«
Tess sah ihre Schwester unverwandt an, was Kate noch nervöser machte.
»Warum hast du Noel nicht geheiratet?«
Kate zog scharf die Luft ein, sie war diese direkten Fragen nicht gewöhnt - zumindest nicht mehr, seit Tess in die Anstalt gegangen war.
»Haben sie euch denn dort gar keine Manieren beigebracht, Tess? So etwas fragt man doch nicht.«
Tess war mit der Antwort nicht zufrieden und ließ nicht locker. »Warum hast du ihn nicht geheiratet?«
Kate wandte sich zum Fenster, das auf den Innenhof zeigte, und stapelte das Geschirr ins Spülbecken, während
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