Das Maedchen mit den Schmetterlingen
war. Seine Hose war dreckig von der Arbeit auf dem Hof, die Haare ungekämmt, und außerdem brauchte er dringend eine Rasur. Aber das war jetzt egal, er musste erfahren, was in Michael Byrnes Testament stand. Die Büroräume waren geschmackvoll möbliert, und es roch durchdringend nach Möbelpolitur. Zu beiden Seiten des Empfangsbereichs lagen zwei große Sprechzimmer, getrennt durch einen langen, schmalen Flur. Seán blickte den Flur mit seinen vielen Türen hinunter. Ständig klingelte irgendwo ein Telefon, und von allen Seiten huschten Menschen an ihm vorbei.
Nach einer Weile steckte ein großer, grauhaariger Mann den Kopf aus einem der Sprechzimmer und warf einen Blick auf Seán, während er gleichzeitig mit einer anderen Person in seinem Büro redete. Schließlich trat er heraus und streckte Seán
seine große, knorrige Hand entgegen, die schon eine Menge Arbeit gesehen haben musste.
»Guten Tag, Mr. Byrne. Mein Name ist Paul Roberts, ich bin Teilhaber dieser Kanzlei. Bitte entschuldigen Sie die Wartezeit. Wenn ich recht verstehe, dann möchten Sie sich nach dem Testament Ihres Vaters erkundigen?«
Während Roberts sich vorstellte, verließ der Mann, mit dem er geredet hatte, leise das Büro. Seán sah ihn im Vorbeigehen - ein Mann im mittleren Alter mit roten Haaren, der ihm einen kurzen Blick zuwarf. Er hätte schwöre können, ihn schon einmal gesehen zu haben, konnte ihn aber nirgendwo einordnen. Er starrte dem Mann hinterher, der mit eiligen Schritten den hell erleuchteten Flur hinunterlief.
Seán unterbrach den Anwalt, der immer noch auf ihn einredete.
»Entschuldigen Sie, Mr. Roberts. Dieser Mann da, den kenne ich irgendwo her. Stammt er aus Wicklow?«
»Nein, Mr. Byrne. Das ist Mr. McCracken. Er ist Dubliner vom Scheitel bis zur Sohle und in unserer Kanzlei als Anwalt tätig.«
Seán zuckte mit den Schultern und verschwand mit dem Rechtsanwalt in dessen Büro. Er kannte keine McCrackens.
Mit einem unbehaglichen Gefühl im Magen ließ er sich auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch nieder, den nachlässig gefalteten Totenschein seines Vaters in der Hand. Er räusperte sich nervös und wartete, bis der Rechtsanwalt, der erst noch ein paar Papiere durchblätterte, endlich das Wort an ihn richtete.
»Seán, Ihr Vater hat sich erst vor wenigen Monaten an unsere Kanzlei gewandt. Er hat sämtliche Unterlagen von einem lokalen Rechtsanwalt in Wicklow hierher übersenden lassen. Er wollte ein neues Testament verfassen. Ich kann mich gut an ihn erinnern. Er behauptete zunächst, seine Frau sei schon
einmal hier gewesen. Sie sei erst kürzlich verstorben, und er habe unsere Visitenkarte in ihrer Handtasche gefunden. Nun hege er den Verdacht, dass sie ihn irgendwie ›aufs Kreuz legen‹ wollte, wie er sich ausdrückte. Wir haben unsere sämtlichen Akten durchgesehen, aber keine Mrs. Maura Byrne gefunden, und das habe ich Ihrem Vater auch gesagt.«
Seán wunderte sich, dass seine Mutter die Anschrift einer Dubliner Rechtsanwaltskanzlei in der Handtasche gehabt hatte. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, warum sie den weiten Weg in die Stadt in Kauf genommen haben sollte, um einen Rechtsanwalt aufzusuchen. Vielleicht hatte sie ihr Vertrauen in Brown & Son verloren, was er sich eigentlich nicht vorstellen konnte.
Roberts beobachtete Seán aufmerksam.
»Das Seltsame daran war, Mr. Byrne, dass diese Visitenkarte mindestens fünfzehn, wenn nicht sogar zwanzig Jahre alt war. Wir haben das Logo der Kanzlei in der Zwischenzeit zweimal geändert. Sie muss schon sehr lange in ihrem Besitz gewesen sein. Das habe ich Mr. Byrne gegenüber aber nicht erwähnt. Er war schon aufgeregt genug.«
»Darf ich erfahren, was in seinem Testament steht?« Seán hatte diese Frage so ruhig wie möglich gestellt, obwohl sein Herz bis zum Hals klopfte.
»Ja. Das kann ich Ihnen jetzt, wo er verstorben ist, sagen. Es handelt sich um öffentlich zugängliche Informationen. Ich lese es Ihnen vor. Aber zunächst muss ich Ihnen mitteilen, dass eine Komplikation eingetreten ist.«
»Eine Komplikation?« Seáns Stimme versagte.
»Ja. Aber lassen Sie mich zunächst einmal vorlesen.« Der Rechtsanwalt räusperte sich und fing an: »Michael Byrne, Dublin Road, Árd Glen, County Wicklow: Dies ist mein letzter Wille, datiert vom 17. Juni 1971. Hiermit erkläre ich
all meine bisherigen Testamentsverfügungen für null und nichtig.
Ich hinterlasse mein gesamtes Vermögen einschließlich all meiner Ländereien meinem einzigen Sohn,
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