Das Maedchen mit den Schmetterlingen
Besuch bei ihm zu Hause eine weitere Warnung sein sollte, eine Warnung, die besagte: »Wir wissen, wo du wohnst, wir wissen, dass du Frau und Kinder hast, also halt den Mund.« Er fragte sich, ob sie jetzt Ruhe geben würden.
Trotz dieser Drohung hatte er seine diskreten Nachforschungen nicht aufgegeben. Er war überzeugt, dass er auf etwas sehr viel Größeres als den Mord an Michael Byrne gestoßen war. Wenn er herauskriegte, was das war, konnte er den Spieß umdrehen, so viel war klar.
Sam wollte gerade in sein Auto steigen, als jemand seinen Namen rief. Eine männliche Stimme hinter einem Baum befahl ihm, näher zu kommen, damit sie keiner sehen konnte. Sam überlegte, ob er einfach einsteigen und abhauen sollte. Im Büro war niemand mehr, der ihm hätte helfen können.
Als ob er seine Gedanken lesen konnte, sagte der Mann: »Vergiss es. Ich hab ‘ne Pistole in der Hand. Du würdest nicht weit kommen.«
Sam trat einen Schritt zurück. Unbegreiflich, dass er so klar denken konnte, aber er kombinierte, dass der Kerl, falls er ihn einfach nur umbringen wollte, es schon längst hätte tun können. Wahrscheinlich handelte es sich um einen weiteren Einschüchterungsversuch, um sicher zu sein, dass er seine Nase nicht mehr in den Fall Byrne steckte. Gemächlich steuerte Sam die Eiche am Rand des Parkplatzes an, hinter der er den Mann vermutete. Nordirischer Akzent, dachte er, aber durch das Heulen des Windes ließ es sich nicht genau feststellen. Er warf einen flüchtigen Blick auf die Fensterreihe des Zeitungsgebäudes.
»Ich weiß, dass niemand mehr da ist. Glaub ja nicht, wir hätten dich nicht beobachtet, also lass den Scheiß!«, sagte die Stimme.
Eindeutig nordirisch, dachte Sam.
»Was wollen Sie von mir?«, fragte er und versuchte, so zu tun, als hätte er keine Angst.
»Komm näher.«
Hinter dem Baum stand ein kleiner, untersetzter Mann,
nicht McCracken. Er trug Jeans und eine schwarze Jacke, dazu gediegene Lederschuhe. Und eine Sturmhaube.
Sehr mutig, dachte Sam.
»Obwohl wir dich gewarnt haben, hast du dich bei allen möglichen Leuten nach einem gemeinsamen Bekannten erkundigt, stimmt’s oder hab ich Recht?«
»Kommt drauf an, welchen Bekannten Sie meinen«, gab Sam zurück. »Ich habe viele Bekannte.«
Sam spürte den Pistolenlauf an seiner Wange und taumelte rückwärts. Nur mit knapper Not konnte er einen Sturz vermeiden. Er richtete sich auf und schaute den Maskierten an.
»Keine dummen Sprüche, Mister!«, sagte der Mann. »Du kannst es dir kaum leisten, frech zu werden. Also, wir wissen, wo du wohnst. Reizende Frau übrigens, sehr ansehnlicher Arsch. Und reizende Kinder dazu. Das Mädchen wird bestimmt mal so hübsch wie ihre Alte. Vielleicht nehm ich sie beim nächsten Besuch mal ein bisschen genauer unter die Lupe.«
Sam schluckte. Wie üblich war sein loses Mundwerk mit ihm durchgegangen. Er schwieg und wartete ab.
»Das ist die letzte Warnung. Falls wir noch einmal mitbekommen, dass du dich nach unserem Bekannten erkundigst, hast du endgültig verspielt. Kapiert?«
»Ja«, erwiderte Sam schwach.
Der maskierte Nordire trat vor und sah sich hastig um, bevor er Sam mit zwei Schlägen ins Gesicht und in die Rippen zu Boden streckte und sie mit einem Tritt in den Magen bekräftigte.
»Damit du’s auch wirklich begriffen hast, klar?«
Sam lag auf der kalten Erde, hustete heftig und rang nach Luft. Als er sich aufsetzte, spürte er eine klebrige Flüssigkeit im Gesicht und wusste, dass er blutete. Stöhnend rappelte
er sich auf. Er stieg in sein Auto, schaltete die Innenraumbeleuchtung ein und betrachtete sein Gesicht im Rückspiegel. Direkt unterhalb seines einen Auges verlief eine lange, schmale Platzwunde. Das Blut tropfte über seine Wange und ließ die Verletzung schlimmer aussehen, als sie war. Seine Rippen schmerzten. Seit seinen Jugendtagen in Dublin war er nicht mehr zusammengeschlagen worden, hatte sich später lieber mit Worten aus schwierigen Situationen befreit. Aber hier halfen keine Worte. Er wusste, dass mit diesen Leuten nicht zu spaßen war. Was immer dieser McCracken zu verbergen hatte, es war ein schwerer Brocken. Auch wenn ihm klar war, in welcher Gefahr er schwebte, wusste er bereits jetzt, dass er die Geschichte weiterverfolgen würde, getrieben von einer brennenden Neugier auf das, was McCracken da vertuschte. Er musste herausfinden, welche Verbindung zwischen Byrne und McCracken bestand, und er musste sich genau überlegen, wie er das anstellen konnte, ohne
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