Das Maedchen mit den Schmetterlingen
für ein paar Wochen in ein Krankenhaus zu verlegen, war Kate erleichtert. Außerdem hoffte sie, dass ihr Bruder mit Hilfe einer vernünftigen Pflege wieder auf die Beine kam. Sie begleitete ihn nicht, als der Krankenwagen ihn abholte, da sie nicht rechtzeitig wieder zurück gewesen wäre, wenn Ben aus der Schule kam. Sie war froh, die Verantwortung für Séan eine Weile los zu sein, und empfand auch keinerlei schlechtes Gewissen, wie es die alte Kate gehabt hätte. Seán hatte sich seine Probleme selbst zuzuschreiben, sie war erschöpft, und jedes Mitleid und Pflichtbewußtsein für ihren gestrauchelten Bruder war ihr schon längst abhanden gekommen.
Zum vierten Mal in dieser Woche verließ Sam Moran erst spätabends die Redaktionsräume in Wicklow. Mona musste glauben, dass er entweder hinter ihrem Rücken eine Affäre angefangen hatte oder aber der Flasche verfallen war. Weder das eine noch das andere war der Fall, auch wenn beides für Sam keineswegs undenkbar gewesen wäre. Jedenfalls konnte man nicht behaupten, dass er sich bisher wie ein vorbildlicher Ehemann benommen hätte. Aber er steckte tatsächlich bis über beide Ohren in der Arbeit, stellte sinnlose Artikel über Markttage, Immobilienpreise und andere langweilige Themen fertig, die Talbot angemahnt hatte. Wenn er sicher war, dass seine Kollegen nach Hause gegangen waren, stöberte er noch stundenlang in den Archiven nach Berichten über IRA-Aktivitäten in Wicklow und den Mord an Michael Byrne, immer in der Hoffnung, auf einen Hinweis zu stoßen. Donnerstagabends hätte er sich normalerweise zu den üblichen Schluckspechten in die Kneipe gesetzt und ein paar Bier getrunken, bevor er sich auf den Heimweg machte, doch er musste sich eingestehen, dass es ihm dort seit seiner Begegnung mit McCracken nicht mehr geheuer war. Mehr als einmal hatte er das Gefühl
gehabt, beobachtet zu werden, und daran war ganz bestimmt nicht seine blühende Fantasie schuld. Er hatte es im Lauf seines Lebens schon mit genügend hartgesottenen Burschen zu tun gehabt und war nicht so leicht einzuschüchtern. Was ihm mehr Sorge bereitete, war die Warnung seines Freundes, dass McCracken mit den Provos unter einer Decke steckte, auch wenn sein Verstand ihm sagte, dass das wenig wahrscheinlich war. Doch Rabbit lag normalerweise richtig und war weiß Gott kein Angsthase, aber offenbar hatte er diesmal wirklich Angst. Sam konnte sich keinen Reim darauf machen. Warum sollte sich ein gebildeter Mann in McCrackens gesellschaftlicher Stellung mit den Provos einlassen?
Beim Verlassen des Büros schlug Sam den Kragen hoch, um sich gegen den kalten Wind zu schützen, der heulend über den Hof fegte und die herabgefallenen Blätter durcheinanderwirbelte. Der Himmel war dunkelgrau, ein heftiger Schauer drohte. Da glaubte Sam, am Rand des Parkplatzes hinter einem dicken Baum eine Gestalt zu erkennen. Für einen Augenblick setzte sein Herzschlag aus. Falls ihm da jemand Angst einjagen wollte, hatte er es geschafft. Hastig stieg er in sein Auto,verriegelte die Tür und brauste davon.
Kate lenkte ängstlich kreischend den Lieferwagen über den nahe gelegenen Acker. Dermot saß nervös und mit weißen Fingerknöcheln neben ihr auf dem Beifahrersitz. Am Morgen hatte er vorsorglich das Vieh von der Weide getrieben, damit kein Tier unter die Räder kam, wie er Kate geneckt hatte. Dermot brachte Kate das Fahren bei. Jetzt, wo Seán im Krankenhaus lag, lebte sie auf, zumindest konnte sie nachts durchschlafen, und da Ben und Tess den ganzen Tag außer Haus waren, hatte sie so viel Zeit für sich selbst wie lange nicht.
Anfangs hatte Kate die Sache für eine überflüssige Schnapsidee
gehalten, aber Dermot hatte darauf bestanden und ihr vor Augen geführt, dass sie in der Lage sein musste, Ben zum Arzt zu fahren, wenn er einmal krank werden sollte und weder er selbst noch Séan zur Stelle waren. Kate war klar, dass Seán unter Umständen nie wieder gesund werden würde, aber sie hoffte eigentlich, dass sie sich in einem solchen Fall auf Dermot verlassen konnte. Sie musterte ihn misstrauisch.
»Du willst mich doch nicht etwa im Stich lassen?«, lächelte sie unsicher. Sie wollte die Sache nicht aufbauschen, aber ein bisschen beunruhigt war sie doch.
»Nein, Kate, durchaus nicht, aber du musst trotzdem möglichst unabhängig sein, verstehst du?«
»Hast ja Recht«, erwiderte Kate, doch der Gedanke, dass Dermot von seiner halben Stelle auf dem kleinen Hof vielleicht genug hatte und sich nach
Weitere Kostenlose Bücher