Das Maedchen mit den Schmetterlingen
fand, es hätte geeignetere Gelegenheiten zum Üben gegeben, da sie bereits jetzt zu spät dran waren. Sie war nervös, weil sie Tess rechtzeitig absetzen wollte, und hielt zwei aufgeregte Frauen im Auto für überflüssig. Es war ihr ein Rätsel, wie Tess sich mit ihren Listen beruhigen konnte.
Als sie schließlich vor dem Marshall’s Art and Craft Centre vorfuhren, konnte Dermot Kate nur mit Mühe daran hindern, in die vornehme Galerie zu stürmen und mit dem Geschäftsführer zu sprechen. Tess hatte Marcus Gill bereits kennengelernt, sie mochte ihn nicht, und Kate befürchte, dass man ihre sensible Schwester womöglich unfreundlich behandeln würde. Dermot stand vor dem Lieferwagen und redete leise auf Tess ein, die sich tatsächlich ein bisschen entspannte. Der Anblick rührte Kate an. Sie sah, wie einfühlsam Dermot mit Tess umging und wie sehr sie ihm am Herzen lag. Das beglückte sie, denn falls aus Dermot und ihr ein Paar wurde, konnten sie Tess nicht ausschließen, und sie hoffte auf Dermots Einverständnis. Sie beobachtete vom Fahrersitz aus, wie Dermot Tess andeutungsweise umarmte, wohl wissend, dass sie bei jeder Berührung zurückweichen würde. Tess lächelte und winkte Kate zu, bevor sie selbstsicher die Galerie betrat. Kate hatte keine Ahnung, was Dermot zu ihr gesagt hatte, und fragte auch nicht danach, aber es hatte gewirkt.
Als Kate sich gerade etwas entspannt hatte, klingelte das Telefon. Eine Frau stellte sich hastig als Empfangsdame des Marshall’s Art Centre vor, und Kates Herz setzte aus, als die verstörte Frau sie bat, sofort zu kommen und Teresa abzuholen. Es hatte einen Zwischenfall gegeben, und der Geschäftsführer bestand darauf, dass Tess augenblicklich ruhig gestellt wurde. Kate hörte Tess im Hintergrund toben und schwankte,
ob sie auf der Stelle losfahren oder versuchen sollte, die Sache am Telefon zu regeln. Doch angesichts der Tonlage von Tess’ Geschrei war es wohl besser, sich sofort auf den Weg zu machen. Schon während des Ausbildungskurses hatte Kate mit solchen Zwischenfällen gerechnet und gehofft, als nichts dergleichen geschehen war, dass Tess ihre Anfälle überwunden hatte.
Dermot war weit und breit nicht zu sehen, und Kate steckte mit bebenden Fingern den Schlüssel ins Zündschloss. Wie gut, dass sie heute Morgen selbst zur Galerie gefahren war! Glenmire war eine große und geschäftige Stadt voller eleganter Boutiquen und Restaurants, und Kate hatte bisher kaum Anlass gehabt, dorthin zu fahren. Das Wenige, was sie brauchte, war in Árd Glen zu bekommen.
Die Fahrt schien eine Ewigkeit zu dauern. Kates Gedanken überschlugen sich, als sie sich ausmalte, was passiert sein könnte. Sie hoffte, dass es sich um etwas Unbedeutendes handelte, dass vielleicht jemand Tess’ Mittagessen berührt oder die Tasse benutzt hatte, die sie für sich mitgebracht hatte. Bei ihrer Ankunft stand Tess zitternd und schluchzend mitten in der Galerie. Die wenigen Kunden, die nicht das Weite gesucht hatten, starrten Tess entsetzt an. Der Geschäftsführer hatte die Hände vors Gesicht geschlagen und lehnte an einer Wand. War er verletzt, hatte Tess ihn womöglich angegriffen? Als er die Hände sinken ließ, wurde ihr schnell klar, dass er einfach nur mit seinem Latein am Ende war. Kate ging auf Tess zu, die sich ihr an den Hals warf und schluchzte, dass sie nach Hause gehen wolle. Kate strich ihr beschwichtigend über die Haare, genau wie ihre Mutter damals, wenn sie Tess beruhigen wollte. Die Empfangsdame half Kate, Tess in den Lieferwagen zu befördern, und Kate versprach, später noch einmal anzurufen, um zu erfahren, was eigentlich vorgefallen war.
Die beiden fuhren schweigend nach Hause. Tess hielt sich die ganze Zeit die Hände vors Gesicht und spähte zwischen den Fingern hindurch. Zu Hause brachte Kate ihre Schwester ins Bett und dachte, sie müsste ihr eine von den Tabletten geben, die die Klinik ihr bei Tess’ Entlassung ausgehändigt hatte, doch das Mädchen schlief auf der Stelle ein und wachte erst vier Stunden später wieder auf. Währenddessen saß Kate wie erstarrt in der Küche. Die Angestellten in der Galerie hatten keinen unfreundlichen Eindruck gemacht, Tess hatte sicher nur Probleme mit der veränderten Umgebung gehabt. Sie hätte auf ihr Gefühl hören und ihre Schwester gar nicht erst gehen lassen sollen.
Kate war erschöpft. So würde es immer weitergehen. Wie sollte je ein normales Leben einkehren, wenn selbst die kleinsten Veränderungen des Alltags
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