Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Maedchen mit den Schmetterlingen

Titel: Das Maedchen mit den Schmetterlingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Coffey
Vom Netzwerk:
plötzlich klar, dass er etwas sagen wollte, was ihm nur schwer über die Lippen kam, und sie beschloss, das Schweigen zu brechen.
    »Was ist, Seán?«
    Seán überlegte kurz. Dann holte er tief Luft und musterte die Hausschuhe an seinen Füßen.
    »Kann sein, dass ich bald entlassen werde, in ein paar Wochen, glaube ich.«
    Kate lächelte. Es kam ihr so vor, als hätte Seáns Aussprache sich seit seiner Einweisung deutlich verbessert. »Wie schön, Seán. Freust du dich?«
    »Ja natürlich.« Er fing wieder an, mit dem Fuß auf den Boden zu klopfen. »Ich … ähm … ich weiß, dass ich dir viel Kummer bereitet hab, Kate. Hier gibt es Gesprächskreise, da reden wir … über das Trinken.« Er streckte die Hand aus und legte sie zaghaft auf ihren Arm. »Also, ich weiß jetzt, wie schwer das für dich war. Ich hab dir und der ganzen Familie wehgetan. Ich hab dein Leben ruiniert.«
    »Wie meinst du das?« Kate zog den Arm weg.

    »Die Trinkerei, Kate. Dass ich Geld ausgegeben hab, das wir gar nicht hatten. Obwohl Michael Byrne gar nicht unser richtiger Vater war, bin ich trotzdem genauso geworden wie er. Ich hab sogar …« Er fing an zu weinen und schloss die Augen, um die Tränen aufzuhalten.
    Seit seiner Kindheit hatte Kate ihren Bruder nicht mehr weinen sehen. »Was denn, Seán?«
    »Ich hab … dich sogar geschlagen. Es tut mir leid, Kate, so furchtbar leid. Wie konnte ich dich nur schlagen … nach allem … nach allem, was er Mammy angetan hat. Was ist bloß aus mir geworden?«
    Kate grub die Fingernägel in ihre Oberschenkel. Sie wollte nicht anfangen zu weinen, er würde sonst sofort das Thema wechseln. Aber sie musste unbedingt hören, was er zu sagen hatte. Es war wichtig, für sie beide. Nur wenn die Atmosphäre zwischen ihnen bereinigt war, konnten sie den nächsten Schritt tun und versuchen, wieder von vorne anzufangen. Sie holte tief Luft und wartete. Er schluchzte jetzt hemmungslos. Zwei Männer, die auf ihren Betten gelegen und gelesen hatten, standen auf und verließen den Schlafsaal. Andere, die zu schwach waren, um das Bett zu verlassen oder Anteil zu nehmen, blieben liegen, was Seán überhaupt nicht zu stören schien. Kate stand auf und schlang die Arme um ihren Bruder, drückte ihn fest an sich und tröstete ihn wie ein kleines Kind.
    »Schon gut, Seán. Du warst krank, und jetzt geht es dir besser. Du wirst bestimmt wieder ganz gesund.« Kate fiel nichts anderes ein. Sie wusste, dass seine Leber dauerhaft geschädigt war und dass er keinen Tropfen Alkohol mehr anrühren durfte, um wenigstens eine halbwegs normale Lebenserwartung zu haben.
    Seán räusperte sich. Er hatte noch mehr auf dem Herzen.
»Kate, ich möchte wissen, ob … ob du einverstanden bist, dass ich wieder nach Hause komme?«
    Er heulte Rotz und Wasser auf seinen blau gestreiften Schlafanzug, ein Bild des Jammers.
    Jetzt konnte auch Kate ihre Tränen nicht länger zurückhalten. »Aber natürlich, Seán! Natürlich darfst du nach Hause kommen. Wie kannst du bloß irgendetwas anderes denken?«
    Sie kniete sich neben ihren Bruder auf den Boden und nahm ihn in die Arme. So verharrten sie, Bruder und Schwester, eng umschlungen, weinten und lachten, trockneten sich gegenseitig die Tränen ab und begruben die Vergangenheit. Kate war glücklich und trug ihm nichts nach. Seán blickte den langen Schlafsaal hinunter. Elf Betten standen auf jeder Seite, und in jedem lag ein Trinker wie er. Die meisten wussten nicht, wohin sie gehen sollten. Einige der Männer waren zwar so weit, dass sie entlassen werden konnten, warteten aber auf ein freies Bett in einem Heim oder einer Obdachlosenunterkunft. Das hatte ihm Angst gemacht. Hätte der Hof ihm gehört, dann wäre er so oder so wieder nach Hause gekommen, und wenn Kate das nicht gepasst hätte, hätte er sie rausgeworfen. Doch er war nichts als ein alkoholabhängiger armer Schlucker. Er brauchte Kate. Und er hatte wirklich vor, mit der Sauferei Schluss zu machen, um nicht so zu enden wie die älteren Männer hier in der Klinik, für die jede Hilfe zu spät kam. So wollte er nicht leben und nicht sterben und schwor sich, niemals wieder ein Glas anzurühren.
     
    Tess wanderte unruhig im Flur auf und ab und flüsterte aufgeregt mit sich selbst und ging ihre Liste mit dem Titel »Was alles schiefgehen kann und was ich dann machen soll« durch.
    Es war der erste Tag ihres Berufspraktikums. Dermot würde sie begleiten, aber Kate sollte fahren. Dermot bestand darauf,
um der Übung willen. Kate

Weitere Kostenlose Bücher