Das Mädchen mit den Teufelsaugen
sie dabei, als er die Tafeln ausgrub, half ihm, das Bleiweiß davon abzukratzen. Da hörte sie die Mutter rufen: «Rosamund, bring mir einen Korb Holz fürs Feuer.»
Sie lief zum Schuppen, hatte jetzt keine Angst mehr um Falk, sang sogar, als sie die größten Scheite in den Korb packte und ihn froh zur Mutter trug.
Der Schrei drang bis in die Küche, löschte jeden Tonaus, jede Farbe, alles. Rosamund ließ den Korb fallen, ein Scheit traf die Mutter am Fuß, dass sie aufbrüllte.
Rosamund rannte zur Werkstatt vorbei an Dietrich und dem Vater.
Falk lag am Boden wie gekreuzigt. Die Arme ausgebreitet, den Kopf zur Seite geneigt, die Augen starr. Darunter die Nase, deren Flügel zart zitterten. Und der Mund, im Schrei erfroren. Grau und kantig das Kinn. Unter dem halb gerissenen Kittel die Brust mit den wenigen Haaren, von denen einige nach oben gebogen waren. Ganz flach der Bauch, verkrümmt die Beine, eines gerade, das andere im komischen Winkel, verdreht am Knöchel, dass es wehtat beim Hinschauen. Ein winziger Tropfen Blut oben an der sanften Stirne.
Rosamund stürzte zu Falk, legte ihm die Hand auf die Kehle. «Atmest du?», schrie sie. «Lebst du noch?»
Der Vater drängte sie weg, nahm eine Feder, führte sie vor den Mund. Rosamund keuchte, presste eine Hand auf ihr Herz. «Atmet er?»
Still stand Dietrich, stierte auf die Feder, hielt die Hände zum Gebet.
«Mach schon, Junge, los komm», murmelte der Vater, ruckte sanft an Falks Schulter.
Da, Gott sei gelobt, bewegte sich die Feder leicht.
«Er lebt. Er lebt doch?», flehte Rosamund.
Der Vater nickte. «Hole mir Wasser. Und du, Dietrich, lauf zum Medicus. Er soll sich eilen.»
Das Wasser kam, der Medicus, danach die Träger, die Falk nach Hause brachten. Dort lag er bis zum Maientanz.Danach kam er noch einmal, stand fremd in der Werkstatt.
Rosamund legte ihm eine Hand auf den Arm: «Wie geht es? Ist alles überstanden? Haben wir dich bald wieder?», und blickte in ein ganz fremdes Gesicht. Hart war es, jeder Zug mit dem Zirkel abgemessen, und sein Blick, lichtgrau einst, war steingrau geworden.
«Du bist schuld!», stieß er hervor. «Du allein. Nur du.»
«Ich? Ich war gar nicht dabei, als du von der Leiter fielst. Ich kam erst später, kam gleich gerannt, um dir zu helfen.»
«Du bist schuld!»
Die Tür wurde aufgerissen, Wind ließ die Blätter des italienischen Buches aufwirbeln. Das Urselchen kam, gefolgt von der Mutter.
«Da bist du ja. Ist nicht schlimm, dass der Maientanz ausfallen musste. Jetzt gehen wir eben gemeinsam zum Pfingstreigen.» Das Urselchen strahlte. «Das Kleid liegt noch bereit.»
Falk sah zu Boden, schüttelte den Kopf. «Nirgendwohin gehe ich mit einer von euch. Und in die Werkstatt komme ich auch nicht mehr.»
«Aber warum? Hat der Sturz dir die Lust am Tanz genommen?», wollte das Urselchen wissen.
Und die Mutter winselte: «Wenn’s dir um den Kittel geht, der beim Sturz zeriss, so näht ihn dir die Ursel. Und dann ist alles gut.»
Beharrlich schüttelte Falk den Kopf, zeigte mit dem Finger auf Rosamund, ohne sie anzusehen. «Die da istschuld. Meine Großmutter hat’s gesagt. Und die Nachbarin wusste es auch gleich. Die da!»
Rosamund bedeckte ihre Augen mit den Händen, aber es half nichts.
«Die da ist schuld. Mit ihren Augen, den Teufelsaugen. Und in meiner Hand hat sie’s schon gelesen, ehe es geschehen ist. Zauberblut hat sie, Teufelsblut, und dann noch diese Augen. Das ist wider die Natur.»
Er nahm die Holzkiste mit seinem Werkzeug, klemmte sich das italienische Buch unter den Arm und verschwand.
Kaum war die Tür ins Schloss gefallen, stürzte sich das Urselchen auf Rosamund, hob die Fäuste und schlug damit so fest sie konnte.
«Er hat recht, du bist schuld!», schrie sie und konnte gar nicht von Rosamund lassen. «Du hast ihn vertrieben. Und keiner wird mehr kommen und was wollen von uns. Alle fürchten sich, und ich werde erst heiraten können, wenn du weg bist.»
Achtes Kapitel
«Wider die Natur» und «erst, wenn du weg bist», dröhnte es in Rosamunds Ohren. Sie hörte nichts mehr, nicht das Seufzen des Vaters, nicht das Hetzen der dummen Mutter, nicht Urselchens Geflenne.
Rosamund floh. Sie riss das Hoftor auf, stürmte hinaus und rannte zum Mainufer. Immer die Gasse hinunter, vorbei an Häusern, Tieren, Menschen, ohne Blick, bis das grüne Wasser vor ihr lag und am anderen Ufer die Silhouette der Vorstadt Sachsenhausen.
Schwer atmend ließ sie sich auf die Uferwiese fallen, presste
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