Das Mädchen mit den Teufelsaugen
eine Hand auf ihr schlagendes Herz und sah auf den Fluss. Ohne Hast und Mühe floss der Main, ohne Qual, grün und schwer, dabei kleine Wellen schlagend. Nachen wippten darauf wie Hüte. Ein Fischer hob sein Netz, und ein Silberregen ergoss sich in seinen Kahn. Es roch nach Schlamm, nach Fisch, nach Nässe. Frisch und schwer zugleich.
«Es ist wider die Natur. Deine Augen sind wider die Natur. Du bist wider die Natur», hörte Rosamund in ihrem Kopf. «Es ist erst gut, wenn du weg bist, weil du wider die Natur bist.»
Ihre Hand hatte sich um ein Ding gekrallt, langeschon. Jetzt bog sie die Finger auf, fand einen Hufnagel darin. Sie bohrte die Spitze des Nagels in ihren Handteller. «Du bist wider die Natur, deshalb musst du weg aus der Natur.»
Rosamund drückte den Nagel fester ins Fleisch, war erstaunt, wie leicht er ihre Haut ritzte. Ein Blutstropfen rann herab, fiel auf einen Grashalm, zitterte ein Weilchen an dessen Spitze und verschwand im Boden. «Wider die Natur.»
Rosamund spürte keinen Schmerz. Sie leckte die Blutspur ab, schmeckte Eisen. Bin ich ein Gottesgeschöpf?, fragte sie. «Wenn ich doch wider die Natur bin?»
Sie hob die Hand mit dem Nagel vors Gesicht, sah die rotgefärbte Spitze. Näher kam die Hand, bis dicht vor das braune Auge. Sie musste zwinkern, wollte stillhalten, doch die Lider hoben und schlossen sich, als hätten sie ihren eigenen Willen. Mit dem Zeigefinger der anderen Hand zog sie das Lid hoch, der Daumen schob den unteren Augenrand in Nasenrichtung. Jetzt konnte sie nicht mehr blinzeln. Das braune Auge starrte auf die blutbeschmierte Nagelspitze, die verschwamm, je näher der Nagel kam. Rosamunds Atem ging schneller. «Los!», trieb sie sich an. «Tu es. Dann ist es vorbei. Ein für alle Mal. Verhilf der Natur zu ihrem Recht.»
Die Nagelspitze berührte kühl den Augapfel. Das Lid zitterte. «Wider die Natur. Verurteilt zum Vergehen», dachte Rosamund. «Es wird ganz leicht sein, viel leichter als der Handteller. Jedes Ochsenauge kann von der Hand zerquetscht werden. Es ist nicht schwer, und ohnehin istes ja keine Natur, mein Auge. Ein bisschen Druck, und schon ist Gottes Ordnung hergestellt. Ein bisschen Druck nur mit dem Hufnagel, und schon ist der Teufel gebannt. Ich bin es ihnen schuldig, dem Urselchen und der Mutter. Und auch dem Vater bin ich es schuldig und dem Falk sowieso.»
Tränen der Anstrengung stiegen auf, das Auge, das braune, brannte schon. Der Blick verwischte, der Hufnagel zerfloss, nur die zitternde Spitze, die rotgefärbte, stand wie ein Soldat vor dem Braunauge. Rosamund ließ das Lid los, schloss die Augen, doch die Hand, die den Hufnagel hielt, blieb. Tränen quollen, die Hand mit dem Nagel zitterte stärker.
Ich muss mich eilen, dachte Rosamund, sonst kann ich nicht treffen. Es ist erstaunlich, wie sich die Widernatur gegen die wahre Natur wehrt. So muss es auch mit dem Teufel sein. Ja, jetzt ist es gewiss. Der Teufel hat mir das Auge gefärbt und macht mir jetzt die Hand zittrig.
Sie schluckte, zerrte beherzt am Lid, zog es hoch mit dem Zeigefinger, schob den unteren Rand mit dem Daumen herab, holte tief Luft. Jetzt muss der Natur Gerechtigkeit getan werden. Jetzt muss der Teufel vertrieben werden.
Aus ihrer Kehle stieg ein Wimmern auf. Kein Mitleid, dachte sie. Es ist der Teufel, der da heult.
Ganz fest biss sie die Zähne zusammen, rief Gott an und bat um Stärke. Das braune Auge musste weg, das Teufelsauge. Die des Vaters waren blau, die Mutter war blauäugig, das Urselchen sowieso. Weg mit dem Teufelsauge!
«Nicht!»
Rosamund fuhr zusammen, ließ die Hand sinken vor Schreck.
Neben ihr stand ein Mann. Als sie ihn ansah, hockte er sich nieder, nahm ihr mit sanfter Gewalt den Nagel aus der Hand. «Ihr wollt Euch doch nicht versündigen.»
«Nein, ich will mich von der Sünde befreien.» Rosamund sprang auf, wollte den Nagel wieder holen. «Versteht Ihr nicht? Die Sünde ist schon da. Loswerden will ich sie, austreiben die Teufel und nicht mehr wider die Natur sein.»
Der Mann packte sie bei den Handgelenken. So fest, dass sie den Arm nicht heben konnte.
«Lasst mich doch», weinte sie. «So lasst mich doch, der Natur muss recht getan werden, dem Urselchen auch, das will sonst keiner, wenn ich es nicht tue, wenn ich nicht den Teufel austreibe. Der Falk ist gestürzt, und der Nachbarin sind die Blumen verdorrt bei Regen. Auch ein Schwein starb schon, nachdem ich es berührt hatte, und vor vielen Jahren die Tonia, ach!» Sie weinte und
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