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Das Mädchen mit den Teufelsaugen

Das Mädchen mit den Teufelsaugen

Titel: Das Mädchen mit den Teufelsaugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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schluchzte mit bebendem Leib, und der Mann hielt sie und strich ihr über den Rücken, bis Rosamund wieder ruhiger wurde.
    «Was ist wider die Natur?», fragte er dann.
    «Meine Augen», erwiderte Rosamund. «Ein blaues, das recht ist, und ein braunes vom Teufel.»
    «Wer sagt, dass es wider die Natur ist?», fragte der Mann weiter.
    «Alle sagen das. Die Mutter und die Nachbarn, und die Großmutter vom Falk hat es auch gesagt.»
    «Woher wissen die denn, was wider die Natur ist?», fragte der Mann. «Woher wissen die denn, was Ihr nicht einmal in Euch fühlt?»
    Rosamund schaute verblüfft. «Sie wissen es eben. Wider die Natur ist, was nicht von Gott kommt.»
    «Aha. Haben die mit Gott gesprochen? Hat er ihnen das gesagt?»
    Rosamund wurde immer verwirrter. «Wer seid Ihr? Hat Euch wer geschickt?»
    Der Mann lächelte. «Vielleicht der Himmel, wer weiß das schon. Matteo heiße ich und komme geradewegs aus dem Land, das hinter den Alpen liegt.»
    Rosamund schaute stumm und sah in seine Augen, die grau waren wie Frühsommerwölkchen am Morgen. Grau, voller Licht und Lachen, mit einem Sternenkranz ringsherum. Darunter die Wangen, ein bisschen hohl, ein wenig ausgezehrt, und ein Mund, schmal wie eine Sichel, aber nach oben gebogen. Die Nase ragte dünn und lang aus dem Gesicht, welches trotz seiner Hagerkeit freundlich war und gütig.
    «Ihr habt also Teufelsaugen?», fragte er.
    Sie nickte. «Die anderen haben es gesagt. Es ist wider die Natur.»
    «Ja, ja. Das habe ich verstanden. Nur weiß ich nicht, wie sie darauf kommen.»
    Er sah über Rosamunds Kopf hinweg. «Seht den Schmetterling dort. Er hat braune Flügel mit blauen Tupfen. Es gibt auch Blumen, blaue Blumen, die braune Stempel haben. Keiner denkt sich was dabei. Habt Ihr niegesehen, wie die Wolken am blauen Himmel sich abends braun einfärben?»
    «Doch ein braunes und ein blaues Auge, das hat sonst niemand», beharrte Rosamund.
    «Woher wisst Ihr, dass es vom Teufel kommt? Vielleicht ist es ein besonderes Geschenk von Gott.»
    «Dass die Leute Angst haben vor mir? Nein. Nein, das kann nicht sein. So grausam ist Gott nicht.»
    Der Mann ließ sich ins Gras sinken, zog Rosamund mit sich, behielt ihre rechte Hand in seiner. Warm war sie, die Hand, wärmte Rosamund durch bis ins Herz. Seine Augen waren grau, beide, er hatte gut reden. Und sein Haar hatte die Farbe von Kastanien. Er hatte es im Nacken zusammengebunden und trug ein blaues Tuch um den Hals, das seine Lippen eher braun scheinen ließ als rot.
    Sein Kinn war bartstoppelig, aber die Zähne gesund und weiß.
    «Dort, wo ich herkomme, aus Italien, da hat man die alten Griechen wiederentdeckt. Ein kluges Volk, das vor ungefähr 1500   Jahren in Athen lebte.»
    Rosamund nickte. «Ein Volk ohne wahren Glauben, ein Volk mit vielen Göttern statt nur dem einen. Der Vater hat mir davon erzählt.»
    «Ja. Ein Volk von großem Wissen. Viele Philosophen gab es damals. Einer hieß Sokrates. Seine Schriften kann man in Italien lesen, und wohl auch hier. Darin steht geschrieben, man solle immer fragen, wem etwas von Nutzen ist. Wir wollen es jetzt halten wie die alten Griechen, und ich frage Euch, wem ist der Teufel von Nutzen?»
    Rosamund war zum zweiten Mal in kurzer Zeit verblüfft.
    «Was redet Ihr da? Der Teufel hat keinen Nutzen, das weiß jedes Kind. Schaden fügt er zu, Leid und Unheil bringt er über die, die nicht Gottes Gerechte sind.»
    «Es gibt also keinen, dem der Teufel nützt?»
    «Vielleicht den gefallenen Engeln, vielleicht den Teufelsanbetern. Sie gäbe es nicht, wäre der Teufel nicht da.»
    «Da habt Ihr wohl recht, doch die gefallenen Engel gibt es erst, seitdem es den Teufel gibt. Wenn Gott ein jedes Ding geschaffen hat, hat er dann auch den Teufel geschaffen?»
    «Aber ja doch! Luzifer war ein Engel und ist gefallen. Erst dann wurde er zum Teufel.»
    «Und Gott, der Allmächtige, hätte er dies nicht verhindern können?»
    Rosamund schwieg eine Weile, dann sagte sie: «Ihr sagt Sachen, die nicht recht sein können. Seid Ihr ein Gotteslästerer?»
    «Um Himmels willen, nein. Ich bin ein Frager, der jeden Sonntag zur heiligen Messe geht. Und beharrlich bin ich außerdem und will noch immer wissen, wem der Teufel nützt, und habe bisher keine Antwort gefunden.»
    Rosamund zog die Unterlippe zwischen die Zähne, sah übers Wasser hinaus, krauste die Stirn und schüttelte den Kopf.
    «Na, was war es, das Ihr gedacht habt?»
    Rosamund senkte den Blick. «Nichts hab ich gedacht.Und wenn doch,

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