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Das Mädchen mit den Teufelsaugen

Das Mädchen mit den Teufelsaugen

Titel: Das Mädchen mit den Teufelsaugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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gewichen. «Isst und trinkst, brauchst Kleider und Schuhe, verbrauchst Wasser und Kerzen. Eine andere als dich hätten wir schon aus dem Haus.»
    Rosamund hatte auf diesen Tag gewartet, auf diese Worte, seit sie Matteo getroffen hatte. Aber sie hatte nicht gedacht, dass der Tag so schnell kommen würde.
    «Ich soll also gehen? Am besten noch vor Weihnachten, damit sich die Freier trauen?», fragte sie. «Ihr glaubt wahrhaftig, es liegt an mir, dass niemand das Urselchen will.»
    «Viele wollen mich» begehrte Ursula mit vorgestülpter Unterlippe auf. «Aber sie trauen sich nicht zu uns. So ist das.»
    «Wegen mir?»
    Die Mutter und das Urselchen nickten.
    Rosamund blickte zum Vater. Der tunkte mit der Brotrinde die Bratensoße auf und tat, als hätte er nichts gehört.
    «Vater, sag doch, was meinst du?», fragte Rosamund laut.
    «Wir wollen nur dein Bestes.» Er sah nicht auf, als er dies sagte.
    «Und wohin soll ich gehen?» Rosamunds Herz klopfte wie wild in ihrer Brust.
    «Warum nicht ins Kloster?», fragte das Urselchen. «Einen Mann kriegst du eh nicht. Und wenn du unbedingt malen willst, so geh doch nach Engeltal. Dort kannst du den lieben langen Tag Buchmalereien kritzeln.»
    «Ach? Woher weißt du das denn?» Rosamund war überrascht.
    «Von der Mutter weiß ich’s. Sie hat die Nonnen gefragt, als sie sie bei der letzten Messe getroffen hat. Platz ist genug in Engeltal, und viel kostet’s nicht, dich dort unterzubringen.»
    «Vater, weißt du davon?», wollte Rosamund wissen.
    «Wir wollen doch nur dein Bestes», lautete seine Antwort.
    «Und wenn ich nicht ins Kloster will? Wollt Ihr mich zwingen?»
    Ursula kicherte. «Wenn du nicht dorthin willst, so musst du heiraten. Erst muss die Älteste versorgt sein, dann kann für die Jüngere das Glück beginnen.»
    «Heiraten oder Kloster? Sonst gibt es nichts?», fragte Rosamund.
    Die Mutter und Ursula warfen sich einen Blick zu, und Rosamund verstand. «Heiraten, Kloster oder Tod. Zwischen den dreien kann ich wählen, nicht wahr?»
    Die Mutter und das Urselchen nickten, der Vater aber stöhnte auf, warf das Essen in den Kübel und ging wortlos hinüber zur Werkstatt.
    Rosamund sah ihm nach, sann leise nach. «Ob um mich schon einmal einer gefreit hat?»
    Die Mutter und das Urselchen schütteten sich aus vor Lachen. «Wer soll das denn gewesen sein? Der Fischer mit dem einen Bein vielleicht? Oder der Blinde, der immer zum Betteln vor der Liebfrauenkirche sitzt? Oder meinst du gar, der Henker wäre gekommen?»
    Das Urselchen warf den Kopf zurück, brüllte, bis ihr die Tränen aus den Augen schossen. «Ja, ja, der Henker, das wäre der Richtige. Auch er ist ja mit dem Teufel im Bunde. Und du, du könntest ja die Gehenkten malen, na, wäre das nichts?»
    Ursula haute sich auf die Schenkel, verschluckte sich und musste erst einmal trinken, bevor sie weiterlachen konnte. Und die Mutter saß daneben, wies mit dem Finger auf ihre älteste Tochter und schrie: «Henkersbraut, Henkersbraut, schnell getraut, die Henkersbraut.» Und brüllte ebenfalls vor Lachen.
    Das Urselchen wollte nicht zurückstehen und dichtete: «Rosamund hat den Tod im Schlund, das Henkersweib bringt Schand und Leid.»

Zehntes Kapitel
    Das Kloster Mariahilf lag in einem Seitental zwischen zwei Hügeln des Odenwaldes, einen halben Tagesmarsch vom kleinen Ort Bickenbach entfernt.
    Die Bäume des nahen Waldes bogen sich unter der Schneelast, obwohl es noch nicht einmal Weihnachten war. Rehe und Wildschweine zeigten sich an den Waldrändern, reckten die Nase in Richtung des Klosters und trotteten, ermattet vom Hunger, zurück in den Wald. Die Spuren der Fallensteller, die in der Dämmerung mit dicken Fellmützen auf dem Kopf nach Essen suchten, zogen sich bis nahe ans Kloster. Der graue Himmel hing so tief, dass man meinen konnte, er läge wie ein Federbett auf den Baumwipfeln. Es roch nach Rauch aus den Kaminen und nach Schnee.
    Rosamund sah aus dem offenen Fenster ihrer Zelle. Eine schwarze Gestalt kämpfte sich gebückt vom Waldrand her durch das Weiß, versank immer wieder. Das schwarze Nonnengewand wehte hinter ihr her, die weiße Haube war verrutscht. Obwohl Rosamund wusste, dass es Schwester Agnes sein musste, schien es ihr aus der Entfernung, als hüpfe eine Krähe durch die weiße Pracht. Sehr früh am Morgen, gleich nach der Andacht, machte sichdie Krankenschwester auf den Weg, um nach Kräutern Ausschau zu halten, aus denen sie Hustentränke brauen konnte.
    Tiefe Ruhe lag über dem Tal.

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