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Das Mädchen mit den Teufelsaugen

Das Mädchen mit den Teufelsaugen

Titel: Das Mädchen mit den Teufelsaugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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Dielen in Grund und Boden. Das Urselchen wurde hochgehoben und bis zur Stubendecke geworfen, weil ein jeder einen Blick unter ihren Rock erhaschen wollte. Der Bräutigam torkelte mit glasigen Augen durch die Gegend, wurde aber von Lisbeth aufgehalten, die dem Wein ebenfalls schon stark zugesprochen hatte. Sie nahm den Kopf des Michael und drückte ihn aufjauchzend an ihren Busen, sodass die Blume ganz zerdrückt wurde.
    Die Bratendüfte, die noch im Raum schwebten, vermischten sich mit dem Schweiß der Männer und dem Begehren der Weiber, die Luft wurde dick und dicker, die Gäste lauter und ausgelassener. Rosamund saß noch immer in der Ecke der Alten, von denen manche schon mit dem Kinn auf der Brust eingenickt war, und fühlte sich so fehl am Platz wie ein Kebsweib unter Nonnen. Sie stand auf, sah noch einmal nach dem Urselchen, das jetzt mit beiden Händen die Röcke gerafft hatte und die Beine zum Tanz schmiss, während ihr Busen beinahe aus dem Mieder hüpfte, dann verließ sie das Fest, schlich in ihre Kammer und hörte noch viele Stunden lang den Lärmder Gäste, die Musik, das Lachen und Toben. Und sie wünschte sich, einmal nur auch der Mittelpunkt einer solchen Raserei zu sein.

Sechzehntes Kapitel
    Was hat es mit dem Wünschen auf sich?, fragte Rosamund im Stillen. Einst war ich die Teufelin, wäre nichts lieber gewesen als eine Heilige. Und nun? Jetzt gelte ich als eine und bin doch um kein Fitzelchen glücklicher. Wie uns doch das Wort im Munde herumgedreht wird. Vom Wunsch zur Verwünschung ist es nur ein kleiner Schritt. Sie rieb die Farben an, während sie weiter nachdachte. Der Wunsch muss uns vom Teufel eingegeben sein. Nur er vermag es, aus Gutem Schlechtes zu spinnen. Aber nun weiß ich es. Am besten schützt man sich wohl, indem man nichts mehr wünscht. Doch wer nichts ersehnt und begehrt, ist ja kein Mensch mehr.
    Sie lächelte in sich hinein und überlegte, wie sie es anstellen wollte, den Ruf der Heiligen zu ruinieren.
    Tagelang dachte sie darüber nach, rührte Farben dabei, malte Girlanden, übte sich gar an einzelnen Friesszenen. Dann kam der Sonntag, ein heißer Frühsommersonntag, an dem der Himmel wie heißes Blei über der Stadt hing und die Blumen in den Fensterbeeten welken ließ. Drückend, schwer, schwül. Seit zwei Wochen hatte es nicht mehr geregnet. Die Bauern fürchteten um ihre Saat, die Viehzüchter um ihre Tiere. Die Stadt lag verstaubt undwelk, als wäre sie an ihren eigenen Ausdünstungen erstickt.
    Rosamund bürstete sich das Haar, bis es glänzend über ihren Rücken fiel. Sie zog ihr bestes Kleid an, öffnete das Mieder weiter, als es sich für eine Heilige geziemte.
    Hinter ihrer Mutter und Ursula, die hochmütig knapp nach links und rechts grüßten, betrat sie die Kirche, setzte sich auf einen Platz nahe am Gang. Den Gottesdienst verfolgte sie unkonzentriert. Sie sah auf den Pater, verrichtete alle notwendigen Rituale, als wäre sie eine Marionette.
    Nach dem Glaubensbekenntnis stand sie auf. Sie sah aus den Augenwinkeln, wie Lisbeth sie anstarrte und Ursula den Mund aufriss.
    Langsam schritt sie durch den Gang, ganz ohne Eile. Der Pater stand vorn, lächelte sie an. Als sie vor dem Altar stand, bekreuzigte sie sich, wandte sich dann an den Geistlichen. «Darf ich ein paar Worte sagen?»
    Der Pater schluckte. Unerhört war, was hier vorging. Eine Frau vor dem Altar! Eine, die zur Gemeinde sprechen wollte. Blasphemie war noch der sanfteste Ausdruck dafür. Rosamund las auf seiner Stirn, was sich dahinter abspielte. Sie lächelte, denn sie wusste, sie war eine Heilige. Unangreifbar sogar für den Pater.
    «Darf ich also?», wiederholte sie leise.
    Die Gemeinde hielt den Atem an.
    Der Priester seufzte, machte eine ausladende Handbewegung. «Bitte. Wenn Gott, der Herr, Euch beauftragt hat, hier zu sprechen, so werde ich nicht im Wege sein.»
    Rosamund dankte ihm. Dann sah sie die Gemeinde an.Über jeden Einzelnen ließ sie ihren Blick schweifen, dann begann sie zu sprechen: «Ihr nennt mich eine Heilige», sagte sie, und die Gemeinde nickte. «Früher hießt Ihr mich ‹das Mädchen mit den Teufelsaugen› und fürchtetet mich so arg, wie Ihr Euch jetzt wünscht, mein Gewand zu küssen. Doch ich bin weder das eine noch das andere. Ihr alle kennt mich. Rosamund Hoffmann bin ich, die Tochter des Weißbinders. Ich weiß, Ihr wollt das nicht hören. Ich soll die sein, die Ihr Euch denkt. Aber ich bin ein Mensch. Und beweisen will ich Euch, dass ich weder eine Heilige noch

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